Für Vera Sola war der Weg zur Songwriterin alles andere als geradlinig. Als Tochter des Schauspieler-Ehepaares Dan Ayckroyd und Donna Dixon hätte ihre Familiengeschichte ja eher vorgegeben, dass sie sich selbst auch als Schauspielerin bewähren sollte. Tatsächlich versuchte sich Vera (die ihren Familiennamen als Künstlerin bewusst nicht verwenden mochte) zunächst auch im Theater – stellte dann aber schnell fest, dass das nicht ihr Ding war - jedenfalls nicht ausschließlich. Als ihr Freund Elvis Perkins sie schließlich ermutigte, es mal mit der Musik zu versuchen indem er sie als Musikerin in seiner Band verpflichtete um so ihr Interesse an eigenen Songs anzuregen, entschloss Vera sich, sich in dieser Hinsicht dann auch ein Mal auszuprobieren. Auf eine erste EP mit Coverversionen von Glen Danzig folgte alsbald die erste LP „Shades“, mit der Vera sich in frei gewählter Abgeschiedenheit an verschiedenen musikalischen Ausdrucksformen versuchte, um so ihre Identität als Musikerin finden zu können. Als sie Ende 2018 die Stücke dieser LP dann – ausgerechnet in der Domstadt Köln - erstmalig mit einer Band vor Publikum präsentierte, konnte sie dann auch auf ihre Erfahrungen aus dem Theaterbereich zurückgreifen und ihre Bühnenperformance mit etlichen, expressiven und selbstredend dramatischen Gesten und Moves anreichern – Elementen, die inzwischen zu einem echten Markenzeichen geworden sind. Nachdem die Pandemie und diverse persönliche Ereignisse es verhinderten, dass die zweite LP – deren Material bereits Ende 2019 in Grundzügen eingespielt wurde – wie geplant 2020 erscheinen konnte, nahm sich Vera dann die Zeit, dieses nochmals gründlich zu überarbeiten, zu erweitern und zusammen mit dem Produzenten Kenneth Pattengale (Milk Carton Kids) in Form zu bringen und auch selbst zu mischen. Wie sich nun herausstellt, hat Vera Sola in der Zwischenzeit nicht nur ihren Weg als Musikerin gefunden, sondern ist in der Lage diesen auch nach Belieben in alle möglichen Richtungen zu lenken.
Warum ist die Scheibe dann aber nicht bereits während der Pandemie herausgekommen - wenn sie doch eigentlich fertig war?„Weil in dieser Zeit so viele Scheiben erschienen sind, die im Covid-Strudel einfach verloren gingen“, erläutert Vera, „da sind einige wirklich schöne Veröffentlichungen einfach verschwunden. Keiner hat sie gehört und gebuchte Touren mussten abgesagt werden. Das war eine verrückte Zeit. Das ist dann der musikalische Grund, warum das Album noch nicht veröffentlicht wurde. Aber auf der persönlichen Seite wurde es dann ziemlich wild. Ich wurde ziemlich krank und es geschahen dann auch einige ziemlich relevante Ereignisse in meinem Leben – die nicht der eigentliche Grund dafür sind, dass es so lange dauerte, aber sicherlich daran Anteil daran hatten. Tatsächlich fühlt es sich erst jetzt genau richtig an, die Scheibe zu veröffentlichen, denn ich bin jetzt sehr gesund und kann der Musik tatsächlich dann auch dienen und der Welt vorstellen. Und jetzt ist die Welt ja auch wieder bereit für so etwas.“
War es denn nicht verlockend, in der Zwischenzeit an neuem Material zu arbeiten?
„Ja und nein“, meint Vera, „ich würde nicht sagen, dass ich irgend etwas fertig gestellt hätte, aber ich habe vieles ausprobiert und an verschiedenen musikalischen Ideen gearbeitet. Ich habe also zwar nichts fertig gebracht, aber ich habe meine musikalischen Fähigkeiten verbessert. Ich habe zum Beispiel viel Gitarre geübt. Das ist das, was ich in der Pandemie gemacht habe.“
Als Vera ihre erste Platte „Shades“ präsentierte, sagte sie, dass sie sich damit auf die Suche nach einer eigenen musikalischen Identität begeben habe. Wenn man sich nun die zweite Scheibe „Peacemaker“ anhört, dann klingt diese, als habe sie diese Identität nun gefunden und spiele mit den Elementen, die sie dabei entdeckt habe.
„Das sehe ich definitiv auch so“, erklärt Vera, „ich bin heutzutage sehr viel selbstbewusster als ich es bei unserem letzten Treffen war. Als wir uns damals in Köln trafen, war das ja mein erstes Konzert überhaupt und ich musste dann mit meiner Scheibe 'Shades' meine Stimme finden. Ich fand damals meinen Körper als Instrument und auch was ich sagen wollte. Es gelang mir dann das auf eine Weise auszudrücken, die andere Menschen auch verstehen konnten. So entstand dann auch die neue Scheibe. Ich konnte nun für mich - und das, was mir wichtig war - einstehen und das ist Teil der großen Stärke des Albums."
Vera's Bühnenpersona unterschiedet sich dann doch sehr von der Person Vera Sola. Ihre besondere Art auf dramatische Weise zu gestikulieren und sich mit großen Gesten zu bewegen, die theatralische Mimik zu bedienen und die Songs mit einem manischen Vibrato vorzutragen, mag auf den ersten Blick irritierend erscheinen – macht aber im künstlerischen Gesamtzusammenhang dann schon Sinn.
„Ach das bin ich eigentlich nur selbst“, schmunzelt sie, „das ist für mich das Einfachste von der Welt. Ich habe früher Theater gespielt, denn das war das, von dem ich zunächst dachte, dass ich es machen wollte. Ich mag das auch immer noch - wenn es mal die richtige Rolle gibt - aber ich möchte nicht dafür kämpfen, eine Schauspielerin zu sein. Das liegt nicht in meiner Natur. Meine Musik hat mir aber die Möglichkeit eröffnet, all diese Aspekte meines Lebens, die ich mag, ins Spiel zu bringen und zur Synthese zu führen. Das Schauspielern, die Ausdrucksform, das Theater – das gehört alles dazu. Auch Poesie und Musik und Kunst und Videos. Weißt Du: Es ist einfach alles, was ich mag zusammen."
Vera Sola möchte ihre Songs nicht gerne erklären – was man akzeptieren muss – aber in der aktuellen Bio wird die neue Scheibe als „topografische Darstellung von Erinnerungen“ beschrieben. Was ist denn damit genau gemeint? Erinnerungsblasen, die durch die Musik miteinander verbunden sind vielleicht?
„Ganz genau“, bestätigt Vera, „ich verwende den Begriff 'topographisch' deswegen, weil sich meine Musik für mich wie eine Landschaft anfühlt. Sie fühlt sich wie ein realer Ort für mich an und mir ging es darum, eine wirkliche Umgebung zu erschaffen. Besonders die Weise, auf die die Scheibe und die Texte funktionieren, fühlte sich für mich an, wie die Landschaft in einem Traum. Kennst Du das Prinzip des Erinnerungs-Palastes? Dabei geht es um eine Technik, mit der man Erinnerungen besser behalten kann. Man sortiert dabei dann diese Erinnerungen in die Räume eines eingebildeten Palastes. Was ich mit dieser Scheibe gemacht habe, ist statt eines virtuellen Palastes eine virtuelle Landschaft zu bauen, und mich dann in diese Landschaft und diese verschiedenen Umgebungen hineinzubegeben – wie in einem Film. Ich betrachte Musik sowieso immer wie durch ein Kamera-Objektiv. Sowohl was die Musik wie auch die Texte betreffend.“
Viele von Vera's Kollegen nutzen ihre Texte ja zur Selbstfindung und zur Autotherapie. Wie nutzt sie denn die ihren?
„Teilweise ebenso“, führt sie aus, „es gibt definitiv Songs mit denen ich Dinge verarbeite – wohingegen die Musik an sich für mich die eigentliche therapeutischen Funktion hat - und nicht die Texte. Es sind bei mir die Vokalisation und der Ausdruck der Emotionen genauso gut und wichtig wie die Worte die ich schreibe. Es geht also teilweise um Therapie – aber auch um das Erzählen von Geschichten. Ich liebe es, Geschichten zu erzählen – und gar nicht mal ausschließlich meine eigenen.“
Gibt es da auch eine Prise Eskapismus?
„Nein – eher das Gegenteil ist der Fall“, erklärt Vera, „ich bohre gerne tiefer, um zum Kern vorzudringen. So tief in das einzudringen, was für mich die Essenz ausmacht und das dann von innen nach außen zu kehren ist mein Ding – und ergo verwende ich meine Musik nicht zum flüchten; zum Eskapismus.“
Fühlt sich Vera Sola auch von anderen Musikern inspiriert? Die Frage drängt sich auf, weil Vera oft mit Leonard Cohen verglichen wird. Das mag ja vom lyrischen Standpunkt aus teilweise zutreffen – anders als bei Cohen ist bei ihr jedoch die vollkommene Abwesenheit religiöser und spiritueller Aspekte zu beobachten.
„Nun ja – ich ziele ja auf nichts anderes ab, als meine eigene Stimme herauszudestillieren“, stellt Vera klar, „aber natürlich werde ich auch von anderen Musikern inspiriert. An erster Stelle ist da mein Freund Elvis Perkins zu nennen, den ich für einen der größten lebenden Songwriter halte. Wie auch er strebe ich an, meine Texte ein wenig zu verschleiern und nicht zu offensichtlich zu machen. Was die Spiritualität betrifft, so würde ich mich als durchaus als wildes spirituelles Wesen sehen – ich zögere nur, das in meiner Musik zum Ausdruck zu bringen, weil es sehr tief und persönlich in mir verwurzelt ist. Auf der neuen Scheibe habe ich gar nichts in dieser Richtung gemacht, aber ich habe mich auch schon mal Songs in dieser Richtung versucht. Allerdings ist Musik zu machen sowieso ein einziger spiritueller Akt, Wenn ich nicht irgendwie das Göttliche anzapfen könnte, dann würde ich vermutlich so etwas gar nicht machen."
Aktuelles Album: Peacemaker (City Slang) VÖ: 02.02.
Weitere Infos: https://www.verasola.com/ Foto: Ebru Yildiz