interviews kunst cartoon konserven liesmich.txt filmriss dvd cruiser live reviews stripshow lottofoon

NICOLE FAUX NAIV

Die Zukunft existiert nicht

NICOLE FAUX NAIV

Das, was die Wahlberliner Songwriterin Nicole Faux Naiv von der Unzahl ihrer Mitstreiter(innen) unterscheidet, ist ihre Herkunft und musikalische Prägung. Denn als Spross einer ganzen aus der ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland emigrierten Familie, wuchs sie im heimatlichen Olpe zweisprachig auf und wurde gleichermaßen von der deutschen wie der russischen Kultur geprägt – sowie auf der musikalischen Seite dann obendrein auch noch von der angelsächsischen und frankophilen. All das wirkt sich für das Debüt-Album „Moon Rally“, das Nicole im Berliner Studio ihres Produzenten Robbie Moore einspielte und auf dem Jon Spencer-Hauslabel Bronzerat veröffentlicht, immens förderlich aus. Denn: Nicole Faux Naiv klingt eben nicht wie alle anderen ihrer Gitarre schwingenden Kolleginnen aus der Singer-Songwriter-Indie-Szene, sondern ließ sich stattdessen gleichermaßen von 90er Dreampop, 80er New Wave-Sounds und Folk - wie auch russischem Postpunk und französischem E-Pop inspirieren. Nicole's Künstler-Nachname „Faux Naiv“ orientiert sich dabei an der im frühen 20. Jahrhundert entstandenen Kunstrichtung „faux naïf“ - mit der eigentlich klassisch ausgebildete Künstler wie z.B. Paul Klee auf der Suche nach neuen künstlerischen Ausdrucksmitteln die naive Malerei des ausgehenden 19 Jahrhunderts aus ihrer Perspektive interpretierten. So in etwas geht Nicole in Bezug auf ihre Musik dann auch vor.

Was hat Nicole dazu gebracht, künstlerisch tätig zu werden – und warum hat sie sich für die Musik entschieden und nicht für das Filme-Machen (worauf ihre starke visuelle Prägung hingedeutet hätte)?

„Das mit dem Filme-Machen bin ich schon öfter gefragt worden“, schmunzelt Nicole, „aber was die Musik betrifft, so habe ich das eigentlich schon mein ganzes Leben gemacht. Ich bin musikalisch aufgewachsen und meine Eltern sind auch sehr Musik-geprägt gewesen. Ich habe schon als Kind mit meinem Bruder 'Band' gespielt. In der Schulzeit und beim Abitur habe ich das auch im Hinterkopf gehabt. Man hat ja auch andere Passionen und Leidenschaften, so dass ich mich zunächst nicht dazu durchringen konnte, zu sagen, dass ich ab sofort Musik machen wollte. Als ich aber dann nach Berlin zog und dort mitbekommen habe, dass man sehr wohl mit Musik viel machen kann und dass es das gar nicht so schwer ist, habe ich mir gedacht: Ich mache jetzt das, was ich immer machen wollte."

Gibt es denn einen Plan B oder ist die Musik nun Nicole's Lebensgrundlage.

„Na ja – es ist ja immer gut, wenn man einen Plan B hat“, zögert Nicole, „und ich mache auch andere Sachen – aber ich meine, es macht jetzt nicht so viel Sinn, sich allzu große Gedanken über die Zukunft zu machen. Weil die Zukunft ja eigentlich gar nicht existiert – es gibt ja nur die Gegenwart. Man kann sich das ja nur vor dem geistigen oder körperlichen Auge visualisieren. Aber ja - ich studiere auch und habe auch einen Bachelor in Kunstwissenschaften abgeschlossen und studiere gerade noch am Master; verfolge das aber nicht so leidenschaftlich wie das mit der Musik, weil das schon mein Herzensprojekt ist. Es gibt aber auch noch andere interessante Sachen. Ich möchte mich auch mal an experimentelleren Filmen ausprobieren und habe schon ein eigenes Video selbst produziert und werde auch weitere machen. Ich habe also Plan B-Visionen – aber ich schaue erst mal, wie das mit der Musik geht."

Welchen Wirkung hat denn der russische Einfluss, wenn Nicole Musik macht? Der erste russische Track „теплое море“ (Teploe More = ruhiges Meer) ist zwar ein klassischer Dreampop-Song, aber der zweite „Вчерашний день“ (Vcheraschniy den = Gestern) kommt fast in der Gestalt einer Russischen Volksweise daher.

„Ja, das stimmt schon – der zweite Song sticht schon heraus, weil das so ein akustischer Gitarrentrack ist, bei dem auch nicht mehr viel in der Produktion gemacht worden ist. Wir haben den in einem Take aufgenommen. Das ist angelehnt an Wiktor Zoi (von der russischen Rockband Kino) – eine meiner größten Inspirationen. Der hat auch sehr viele solcher einfachen Songs geschrieben. Das ist dieses typisch russische Folk-mäßige."

Dreampop bedeutet ja auch immer Eskapismus, oder?

„Das Leben ist ja alles“, meint Nicole, „man kann auf diese Weise also schon aus der Realität entfliehen. Ich habe aber erst vor einiger Zeit verstanden, das das dann auch alles Realität ist. Musik kann bedeutungsweise größer sein als andere Dinge im Leben. Die Leute wenden sich ja deswegen an die Musik und die Kunst, wenn sie etwas Größeres brauchen als den Alltag. Kunst ist ja das, was den Menschen ausmacht und von anderen Lebensformen unterscheidet. Deswegen würde ich schon sagen, dass Kunst, Musik, Literatur und all das schon das Größte und Besonderste ist, was wir im Leben auf dieser Welt haben."

Einfach weil sich momentan nicht so viele von Nicole's Kolleg(inn)en auf dem Gebiet des Dreampops tummeln, sollten sich alle Freunde dieser Musikrichtung unbedingt mit ihrem Album „Moon Rally“ beschäftigen.

Um möglichen Spekulationen entgegenzuwirken sei noch gesagt: „Moon Rally“ ist lange vor der aktuellen politischen Entwicklung – und selbstverständlich vollkommen losgelöst davon – entstanden.

Aktuelles Album: Moon Rally (Bronzerat)

Foto: Afjona Olifirenko

Auch von Interesse
› Tonträger › Rock & Pop › NICOLE FAUX NAIV - Moon Rally (2022-04-01) ‹‹


April 2022
BAND OF HORSES
BARRIE
CALEXICO
LEWSBERG
NICOLE FAUX NAIV
WET LEG
ZACHARY CALE
‹‹März Mai››