Endlich ist Matt Corby mal wieder unterwegs, auch wenn es nur ein kurzer Trip durch Europa ist, um die Welt auf sein zweites Album ´Rainbow Valley´ vorzubereiten. Ein Foto des Australiers auf Twitter zeigt ihn zum Beispiel glücklich in Oslo, zwei dicke Tüten in der Hand, prallgefüllt mit Platten. „Wenn ich auf Tour bin, sind Schallplatten das einzige wofür ich Geld ausgebe. Ich hasse es regelrecht in einen Schallplattenladen zu gehen, weil ich weiß, ich habe nie genug Geld, um all das zu kaufen, das ich möchte“, lacht er. „Und das bisschen, dass ich habe, gebe ich einfach aus.“
Es gibt eben immer Alben auf seiner Liste, die ihm fehlen, einige so obskur, dass er sie einfach nicht auftreiben kann.„Witzigerweise, dort in Oslo, hatten sie aber gerade eine Menge der Platten, nach denen ich seit über zwei Jahren suche.“ Darum also dieser glückliche, triumphale Ausdruck auf dem Foto!
„Ich blätterte da einfach durch und fand plötzlich diese alte J Dilla-Scheibe mit Instrumentals, echt selten. Und dann die eine Darkside – kennt Du ,Psychic‘? Und so viele andere … leider!“
Damit aber nicht genug. „Ich bin dann noch in die Jazzsektion und hörte einfach in Sachen rein, die interessant aussahen. Da habe ich diese total krasse Platte gefunden, irgendwie Afrobeat, mit ganz eigenartiger und teilweise traditioneller Gospelmusik …“
Ja, auch Matt Corby trägt das Kreuz des eklektischen Musikgeschmacks. Und obwohl er irgendwann am Liebsten einen ganzen Raum voller Vinyl hätte, ist er zur Zeit erst der stolzer Besitzer von – wie er schätzt – Platten, die gestapelt etwas größer wären als er.
„Kein schlechter Anfang!“, findet Matt. Obwohl er erst 1990 geboren wurde und in seiner Zeit als Teenager und Musikentdecker ja sogar schon CDs am Aussterben waren, ist Vinyl für ihn einfach das einzige echte Format für Menschen, die Musik lieben. „Du kannst heute so oft das Artwork nicht in die Hände nehmen, nicht mehr als echtes Objekt wertschätzen – mir reicht Spotify einfach nicht. Ich mag es sogar, von Seite A zu Seite B zu wechseln. Die meisten Künstler, vor allem früher, haben sich viele Gedanken gemacht, wie die Reihenfolge zu sein hat, es gab gute Gründe dafür wo jeder Track war! Die Linernotes, die Credits …. All diese Details genieße ich sehr.“
Und so kann es niemanden überraschen, dass Matt mit der gleiche Liebe und Sorgfalt an seine eigenen Veröffentlichungen herangeht.
„Ich hatte gerade erst die Testpressung in der Hand, aber auch das fand ich schon sehr aufregend! Ich habe das Album auf jeder möglichen Geschwindigkeit abgespielt – einige Songs hören sich auf hoher Geschwindigkeit wie Michael Jackson für Arme an!“, lacht er.
Die kleine Europareise ist übrigens nicht nur etwas besonderes für ihn wegen all der Fund- und Sammlerstücke, sondern vor allem weil er erst vor wenigen Monaten Vater wurde.
„Es ist gerade bittersweet. Ich bin erst seit fünf Tagen weg, aber so lange war ich noch nie von meinem Sohn getrennt. Klar, meine Partnerin weiß, dass ich immer mal wieder weg sein muss – und sie ist sehr gut darin, eine Mutter zu sein.“
Aber bisher hat er in der neuen Lebenssituation auch noch nie die Promotion für ein neues Album bestritten, geschweige denn eine ganze Tour – das wird ihn erst im kommenden Jahr erwarten.
„Das wird der wahre Test … Aber vielleicht kann der Kleine sogar ein bisschen mit dabei sein.“ Es ist eine interessante Situation für ihn, praktisch gespalten zwischen den zwei seiner großen Lieben im Leben, der Musik und dem Sohn.
„Es ist ein bisschen wie in Catch 22 für mich. Aber dann wiederum mag ich es sogar, dass da jemand so wichtig ist, dass er mich etwas von der Musik entfernt. Weil es nämlich die Musik wieder aufregender macht, da ich mich durch ihn immer wieder von ihr lösen muss.“
Natürlich hatte die Phase vor der Geburt und die Ankunft des Jungen einen immensen Einfluss auf die neuen Lieder. Das hört man auch, denn ´Rainbow Volley´ ist lebensbejahend, alles sprudelt über vor Schönheit, Positivität, Optimismus. Die Lieder sind opulent und trotzdem zart arrangiert, farbenfroh und üppig … wenn das noch Singer/Songwriter sein soll, dann ist kann man Sergeant Pepper auch als minimal bezeichnen. Und man hört die Liebe.
„Viele der Lieder sind direkt an meinen Sohn gerichtet, so als würde ich mit ihm über sie kommunizieren, noch bevor er mich überhaupt verstehen kann. Ich teile mit ihm – und mit jedem, der die Lieder hören möchte – all meine einfachen Philosophien.“
Das Kind hat ihn aber zunächst auf ganz pragmatische Art beeinflusst, denn als Matt erfuhr, dass er Vater wird, dachte er sich, besser ich mache jetzt sofort ein neues Album, „falls ich sonst nie wieder die Chance dazu bekommen werde!“, lacht er wieder. „Aber Spaß beiseite, der kleine hat das Beste in mir hervorgebracht. Die Platte ist voll und ganz ihm gewidmet.“
Deshalb ist ´Rainbow Valley´ auch ein perfektes Gegengewicht zu den Bürden der Gegenwart, dem Overkill aus Nachrichten, dem Aufstieg von Rechtspopulisten, dem latenten Pessimismus all überall. Und Matt ist sich darüber voll im Klaren – denn wie er es selbst so schön sagt: „Shit is real in the moment.“
Die Aufspaltung der Menschen, basierend auf ihren extremen Moralvorstellungen und noch extremeren Ideen ist an einem Punkt, „den wir so schon lange nicht mehr hatten. Und ich finde es schön, dieser Situation auf eine andere Art gerecht zu werden – indem ich positiv bin, anstatt zu sagen, dass alles Scheiße ist. Das hilft niemanden. Nicht, dass ich Lösungen oder Antworten hätte. Aber Musik kann Menschen aus dieser kulturellen Depression heraushelfen.“
Dieser positive, lebensfrohe und leichte Vibe hat noch eine andere Ursache – den Ort an dem das Album aufgenommen wurde. Nämlich in der Nähe von Byron Bay, einem australischen Küstenstädtchen, dass, auch wenn es ein ziemlich touristischer Ort geworden ist, noch immer einen naiven Charme aus einer alten Hippie-Ära, sowie Strände und eine wunderschöne Landschaft hat.
„Das Studio ist ein wenig im Hinterland, und recht nah an meinem Zuhause. Dort habe ich keine Nachbarn und wenn ich will, wenig menschlichen Kontakt. Es ist in magischer Teil der Welt.“
Und so darf man sich Matt ziemlich glücklich vorstellen, wie er dort im Studio jedes Instrument selbst einspielte. Was einerseits natürlich völlige musikalische Freiheit bedeutete, aber anderseits auch, dass er nie jemanden hatte, der ihm helfen konnte. Matt gesteht, dass es auf seine Tagesform und das Lied ankam, wie gut er damit umgehen konnte.
„Man springt immer hin und her. Ich nehme ein Spur auf, dann höre ich sie an und wenn ich das Schlagzeug doch anders haben will, muss ich wieder ran. Wenn das öfters passiert bis du die gesuchte Balance hast, dann bist du wirklich froh, wenn du Feierabend machst.“
Es gab Momente, in denen er und sein Produzent Dann Hume solche Details neu formen wollten, was in einer Kettenreaktion die ganzen vorherigen Aufnahmen eines Songs obsolet machte.
„Es wäre oft einfacher gewesen, wenn ich eine ganze Band bei mir gehabt hätte und einfach sagen könnte, lasst uns diese Sache nochmal ändern – und sie alle loslegen würden.“
In solchen Momenten dauert es dann entweder ewig „oder man gibt einfach auf!“, scherzt er, denn er und Dann ließen nie nach, um diesen vollen, großen Sound zu erreichen, diese überwältigende Schönheit.
„Dann ist auch ein Meister der Klänge, er zieht unglaubliche Töne und Ideen aus dem Ärmel. Er machte es mir einfach, denn er ist auch schnell. Und wir haben eine so ähnliche Einstellung, dass wir uns ständig Ideen hin und her werfen können, eine nicht enden wollende Konversation.“
Wie er all diese Klänge auf der Bühne umsetzen will, weiß Matt allerdings auch noch nicht genau, denn die Proben stehen noch aus, aber er ist sich sicher, dass es gut funktionieren wird.
„Wir sechs werden das stemmen – und es wird ziemlich ,schmick‘ klingen!“ „Schmick“ ist übrigens australischer Slang für „stylisch“ und „gut“. Da ist es fast schade, dass das Album nicht so heißt. Es hatte perfekt gepasst.
Tourdaten:
06.02.2019 Hamburg, Docks
07.02.2019 Köln, Carlswerk Victoria
Aktuelles Album: Rainbow Valley (Atlantic / Warner) VÖ: 02.11.
Foto: Matt Johnson