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CHEFKET

„Ich bin nicht in der Welt, um gegen Rassismus anzukämpfen!“

CHEFKET

„Rap-Poet“ wird er genannt, selber bezeichnet er sich als „der glücklichste Rapper der Welt“: Chefket schwimmt weit abseits der 08/15-Mainstream-Gewässer. Er ist das Gegenteil des klischeebehafteten erfolgreichen Rappers – er ist positiv, beleidigt nicht und zeigt kein Interesse an Prunk und Proll. „Ich sehe mich nicht in einem Musikvideo umgeben von schönen Frauen aus einem Hubschrauber steigen und dabei Goldketten tragen“, lacht er im Gespräch, „das muss nicht sein.“ Der erfolgsbedingte Höhenflug blieb bei ihm aus. Dafür ist ihm zu sehr bewusst, dass nichts selbstverständlich ist.

Bereits als Jugendlicher stand Chefket, der mit bürgerlichem Namen fievket Dirican heißt, bei Freestyle-Battles auf der Bühne, weitere Erfahrungen sammelte er mit der Band Nil. In seiner Heimat Heidenheim an der Brenz wusste er ganz genau, wo er in der Umgebung gute Musik hören kann, doch als er vor zwölf Jahren die Koffer packte und in die Hauptstadt zog, musste er wieder komplett bei null anfangen.

„Ich wusste nicht, wo man in Berlin guten Rap hören kann, geschweige denn wo Shows stattfinden“, so der Musiker. „Ich musste mit der Stadt verschmelzen, um das herauszufinden.“ Fündig wurde er schließlich in der Underground-Szene.

„Ich kann verstehen, wenn man nach der Arbeit einfach nur noch berieselt werden möchte und keine Lust hat, noch lange nach etwas Gutem suchen zu müssen. Blockbuster werden einem um die Ohren gehauen, doch für gute Independent-Filme muss man sich Zeit nehmen und vor allem danach suchen – bei der Musik ist das genauso.“ Ein adäquater Vergleich, vor allem in Verbindung mit ihm selbst.

Auch auf seinem neuen Album ´Alles Liebe (Nach dem Ende des Kampfes)´ zeigt sich der Wahlberliner lyrisch weit über dem Durchschnitt. Seine Texte sind dabei jedoch nicht hochgradig metaphorisch, sondern schlicht clever formuliert. Weniger platt als sich viele andere ausdrücken, wodurch ein Thema gerne auf mehrere Ebenen gehoben wird.

„Meine Freunde reichen, damit ich mich zuhause fühl. Und ich weiß, daher kommt die Liebe, doch woher kommt der Hass? Zuerst war ich angepisst, dann angepasst – aber immer noch so fremd“, heißt es in ´Fremd´, und später: „Bei so viel Hass bleibe ich viel lieber fremd.“

Ja, Chefket thematisiert mit dem Song seine persönlichen Erfahrungen und Beobachtungen als Sohn türkischer Einwanderer, doch eines wird bereits beim ersten Hören klar: Es ist kein rein autobiographischer Song.

„´Fremd´ ist viel größer als ich. Es geht um Türken in Deutschland, um Amerikaner in Berlin, um Kurden. Ich bekomme immer wieder mit, dass Bekannte gefragt werden, wann sie denn wieder zurück in ihre Heimat gehen würden, in die USA zum Beispiel. Diese Frage bringt ein unterschwelliges Fremdheitsgefühl mit sich, es ist verletzend. Der Rassismus wird immer lauter, auch durch die AfD“, führt er fort. „Ich bin aber nicht in der Welt, um gegen Rassismus anzukämpfen, das ist mir zu wenig! Ich will Liebe verbreiten, Musik machen und kreativ sein – und von solchen Menschen lasse ich mich bestimmt nicht ausbremsen!“

Was nach Peace, Love and Happiness klingt, ist in Wahrheit eine Kombination aus Ehrlichkeit und purer Leidenschaft. Man muss den Künstler nicht seit Stunde Eins auf dem Schirm haben, um das zu sehen. Um zu wissen, dass er nicht bloß redet, sondern das Gesprochene auch wirklich so meint und davon vollkommen überzeugt ist. Ihm werden keine Worte in den Mund gelegt – er spricht das an, was ihm wichtig ist, und nicht das, was sich Expertenmeinung zufolge am besten verkaufen lässt.

Drei Jahre nach ´Nachtmensch´ präsentiert Chefket somit ein weiteres sehr persönliches und durchaus kritisches Album. Denn so positiv ´Alles Liebe (Nach dem Ende des Kampfes)´ auch sein mag, Dirican geht ebenso Themen an, die das Rap-Klischee voll zu bedienen scheinen – doch auch wie schon bei ´Fremd´ zeigt er sich vielschichtiger als einige seiner Genre-Kollegen. Man muss nur zwei Stichworte nennen, um ihn in Monologlaune zu bringen: ´Objektivierung der Frau im Rap´ und den neuen Song ´Work It´.

„Ich beschreibe es dort genau so, wie es ist. Ich schaue ihr hinterher, wenn sie sich nach dem Sex Wasser holt, aber sie schaut auch mir hinterher, wenn ich mir Wasser hole. Mit dem Wort „ficken“ ist es noch immer problematisch, aber genau darum geht es eben in dem Song. Die Zeile „nur weil sie Sex mag, ist sie noch lange keine Hoe“ ist allerdings das Wichtigste. Ich habe drei Schwestern, viele weibliche Freunde und bin eigentlich nur von Frauen umgeben – Frauen sind für mich nicht das „schwächere Geschlecht“, ganz im Gegenteil, sie sind in vielen Bereichen das stärkere. Vielleicht muss man ´Work It´ häufiger hören, aber er ist lange nicht so fiktiv wie viele denken könnten – fiktiv hier übrigens mit ck geschrieben.“

Chefket macht es niemandem leicht, ihn oder seine Musik zu mögen – weil man sie wie vieles andere nicht einfach konsumieren kann. Durch die ausgeprägte Musikalität und lyrische Finesse sticht sie hervor. Oftmals dauert es einige Zeit, bis man etwas verstanden hat, doch ebendies macht es so interessant. Der Mann lebt, was er liebt, mit einer beeindruckend positiven Einstellung.

„Weißt du, wenn es regnet und ich mich darüber beschwere, scheint die Sonne auch nicht eher.“

Aktuelles Album: Alles Liebe (nach dem Ende des Kampfes) (Universal)

Foto: Roman Goebel


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