Album Nr. 14 steht in den Startlöchern, die nächste knapp 10-wöchige Tour durch Europa und Amerika bevor: Für Mille Petrozza und Co. steht der nächste Zyklus an, den eine Veröffentlichung mit sich bringt. Nach mehr als 30 Jahren im Geschäft ein routiniertes Unterfangen, möchte man meinen. Die Wahrheit aber ist, dass das Abenteuer und die Herausforderung wie eh und je präsent ist. Denn der Schlüssel zur guten Aufnahme liegt näher am Herzen als an den Fingerspitzen.
Wie es der Zufall so wollte, lief kurz vor dem Interview mit Mille ein Bericht über seine Heimat Altenessen im Radio – der Ort, dem vor knapp 30 Jahren mit ´Thrash Altenessen´ eine Doku gewidmet war. Inzwischen ist der Strukturwandel fortgeschritten, die damals darin beleuchtete Perspektivlosigkeit scheint aber auch heute noch zu bestehen.„Ich lebe jetzt seit 10 Jahren nicht mehr in Altenessen, aber meine Eltern sind noch da und auch viele alte Freunde. So ghettoisiert, wie es in der Presse gerne dargestellt wird, ist es aber nicht“, berichtet Mille. „Altenessen ist eigentlich ein sehr netter, schöner und grüner Ort. Der Essener Norden und der Essener Süden sind allerdings schon zwei verschiedene Welten, aber das ist eher eine Frage der Stadtplanung. Die Investitionen gehen eher in den Süden, obwohl die Zeche Carl im Norden doch das kulturelle Zentrum war und ist, was leider oft vergessen wird.“
Überhaupt ist die Szene, inzwischen über jegliche Stadtgrenzen hinaus gewachsen, noch sehr vital, was Mille sehr freut – und ihm auch neue Möglichkeiten bietet, was auch in der Entstehungsgeschichte des neuen Albums Platz fand.
„Den Titelsong ´Gods Of Violence´ gab es 2013 schon in einer Rohfassung. Ich notiere eigentlich immer Ideen, meistens ganz fix mit meinem iPhone. Die Vorproduktion ist dann 2015 bei Caliban-Gitarrist Marc Görtz im Studio entstanden und wir haben immer mal wieder in Etappen an den Songideen gearbeitet. Dann Anfang 2016 ging es mit der Band weiter, wir haben ganz klassisch drei mal die Woche geprobt und sind dann im Sommer in Schweden ins Studio.“
Die erneute Zusammenkunft in Schweden mit Produzent Jens Bogren nach der erfolgreichen Arbeit am Vorgänger ´Phantom Antichrist´ erklärt Mille etwas mystisch, aber durchaus passend.
„Es geht ja nicht nur um die Songs, sondern auch um die Performance und eine gewisse Aura, die nur durch die vier beteiligten Charaktere zum Vorschein kommt. Jeder Songentwurf, den ich mitbringe, wird ja erst durch die Persönlichkeit jedes Einzelnen beim gemeinsamen Spielen zu dem, was es am Ende auf dem Album ist. Und genau das ist die Aufgabe von Jens, er zaubert die Seele jedes Musikers auf die Aufnahmen, so dass man sie auch im Nachhinein wiedererkennt.“
Haben sich Kreator denn im Laufe der Zeit zu einer komplexeren Band entwickelt, die eine solche Herangehensweise erfordert?
„Wahrscheinlich nicht. Schon auf ´Coma Of Souls´ haben wir mit progressiven Elementen und vertrackten Rhythmen gearbeitet und waren musikalisch schon auf einem ziemlich guten Weg. Jetzt haben wir natürlich einen Erfahrungsschatz von weiteren 20 Jahren, auf den wir zurückgreifen können. Ich glaube, wir sind eher darauf bedacht, dass jeder Song noch immer eine Geschichte erzählt und genauso aufregend und energiereich klingt wie die aus unseren Anfangstagen. Wir wollen immer frischen Metal machen, der alles zerstört. Wir wollen uns ja nicht wiederholen, wir müssen die Musik wirklich spüren. Nur so kannst du davon ausgehen, dass das auch andere gut finden. Denn wenn du diese Emotionen nicht vermitteln kannst, dann kann es nur ein mittelmäßiges Album werden.“
Gerade bei Songs wie dem symphonischen ´Satan Is Real´ wird verständlich, warum Mille diesen Details so viel Beachtung schenkt. Denn hier trennt sich die Spreu vom Weizen.
„Jens Bogren ist sehr gut darin, das Gefühl eines Musikers einzufangen, und das ist eigentlich 90% dessen, was du als guten Sound empfindest. Einen technisch ´richtigen´ Sound, kannst du innerhalb von zwei Tagen aufnehmen. Der Ausdruck ist aber das Wichtige, da muss man auch die Geduld für aufbringen, die richtige Performance aufzunehmen – genau diesen einen Take, der das Gefühl vermittelt, das man dann als wuchtig oder groß wahrnimmt.“
Aktuelles Album: Gods Of Violence (Nuclear Blast / Warner)
Foto: Robert Eikelpoth