Als Sizarr 2012 ihr Debütalbum ´Psycho Boy Happy´ veröffentlichen und ihren ausgereiften Stilmix, ihre komplexe Mischung aus sphärischer Popmusik, koketter Elektronik, sachtem Hip-Hop, grummelndem Post-Punk und weltmusikalischem Trommelfeuer ins Rennen schicken, haben sie vom Start weg Kritiker wie Publikum gleichermaßen begeistert und auf ihre Seite gezogen. Sogar für den Kritikerpreis des Echo wurde das Trio nominiert. Jetzt legen Sänger und Gitarrist Fabian Altstötter, Schlagzeuger Marc Übel und Philipp Hülsenbeck am Synthesizer mit ´Nurture´ den mit Spannung erwarteten Nachfolger vor.
MelancholischWas ist geblieben und was ist neu hinzugekommen? Vom grundmelancholischen Klangkosmos haben sich Sizarr nicht wegbewegt. Doch haben sie sich von der Klangüppigkeit des ersten Albums entfernt und die Stücke klingen deutlich aufgeräumter und noch zwingender. Dabei haben sie sich von ihrer grundsätzlichen Herangehensweise ans Komponieren gar nicht so weit entfernt, beziehungsweise sind zu ihr zurückgekehrt.
„Obwohl wir noch nie eine Band waren, die im Proberaum gejammt hat und so Stücke geschrieben hat, haben wir es diesmal probiert“, sagt Philipp Hülsenbeck, „wir wollten einfach wissen, wie das funktioniert und diese Art zu arbeiten, etwas für uns ist. Aber über Fragmente für Lieder sind wir dabei nicht herausgekommen. Im Proberaum ist kein einziges fertiges Stück entstanden. Wir sind dann wieder zur alten Arbeitsweise zurückgekehrt, haben zunächst getrennt voneinander gewerkelt und erst in einem zweiten Schritt die Ideen dann gemeinsam vervollständigt.“
Dieser Ort des Vervollständigens ist überwiegend das Studio von Produzent Markus Ganter, der auch bereits das Debüt produzierte. Diese vorgeschaltete einsame Arbeitsweise hat allerdings auch vieles für sich, allein schon aus praktischen Gründen. Sizarr haben den heimischen Kokon im bayerischen Landau verlassen und sind nun in unterschiedlichen Städten, unter anderem in Berlin beheimatet Sizarr haben dabei nie daran gedacht, sich selbst unter Druck zu setzen. Oder während der gesamten Schreibphase den Erfolg des ersten Albums übertreffen zu wollen.
„Auch bei ‚Nurture’ kam das alte Arbeitsprinzip erneut zum Tragen, nämlich das, dass wir uns gern die Freiheit lassen, uns keine Grenzen zu setzen“, fügt Fabian Altstötter an, „wir wollten mit den neuen Sachen auch keinerlei Erwartungshaltungen bedienen oder irgend jemanden zufrieden stellen. Solche Versuche gehen sowieso meist nach hinten los.“
Was Sizarr schon beim ersten Album auszeichnet, wird auf ´Nurture´ zur wahren Meisterschaft kultiviert, nämlich ihre in alle Richtungen bestehende Offenheit. Aber auch dabei folgen Sizarr keinem ausgeklügelten Plan.
„Kreative Entscheidungen werden instinktiv vorgenommen“, erklärt Marc Übel, „und manches Mal ist es eben so, dass das Stück mehr weiß als sein Komponist.“
Was Sizarr allerdings brauchen, ist eine Deadline. Das Zeug dazu, sich zu verzetteln, das haben sie nämlich schon.
„Bei uns reicht eine Deadline sowieso nie aus“, hebt Fabian Altstötter an, „wir haben diesmal mehrere davon verschlissen. Und zwar so viele davon, dass wir uns die Frage stellen, ob Deadlines uns wirklich helfen. Denn wir denken schon in der Kategorie, dass wir kein Album herausbringen, bevor wir nicht 150prozentig zufrieden sind. Doch das sind wir letztlich nie. Also war Markus Ganter als Produzent und Einforderer schon eine wichtige Figur im gesamten Produktionsprozess.“
Hilfreich beim Durchschlagen des gordischen Zeitknoten ist die Tatsache, dass auch Sizarr einsehen, dass jedes Stück auf eine Platte zwar das Bestmögliche ist, dass zu dem Zeitpunkt abgeliefert werden kann. Und doch kommt es über den Status einer Momentaufnahme nicht hinaus. Schreiten die Künstler auf dem Zeitkontinuum voran, schreitet das Stück mit und verändert sich dabei zwangläufig mit jeder weiteren Interpretation, etwa bei einer Bühnendarbietung.
„Und doch brauchten wir insgesamt zwei Jahre, um die Platte abzuliefern, was wiederum zu Diskussionen führte, wie dann die Klänge, die wir ganz Beginn im Kopf hatten, mit denen zu vereinbaren waren, die ganz zum Schluss im Kopf hatten“, nimmt Philipp Hülsenbeck den Gesprächsfaden wieder auf.
Unerklärlich
Und doch fügt sich alles unter einem wunderbaren Spannungsbogen zusammen. Auf unerklärliche Art und Weise.
„Das ist aber auch ganz normal, dieses Quantum des Unerklärlichen“, sagt Fabian Altstötter, „es heißt nicht umsonst, die Musik kann dort weitergehen, wo Worte nicht mehr weiterkommen.“
Vermutlich ist das Unerklärliche auch der Quell’ für die absolute Entspanntheit der Töne und ihrer federgleichen Leichtigkeit, fast einer Schwerelosigkeit. Das gilt es jetzt auch live auf die Bühne zu bringen.
„Die Stücke müssen wir üben, unbedingt, weil sie eben nicht aus dem Jammen heraus entstanden sind, sondern intuitive Tongebäude sind“, stellt Marc Übel klar, „die Hälfte davon können wir schon. Beim Proben der ‚Nuture’-Lieder kommt uns allerdings der Faktor zur Hilfe, der vorhin schon mal angesprochen wurde, nämlich der, dass die Lieder nicht mehr so vollgestopft und überladen sind, wie beim ersten Album. Wir können ‚Nuture’ live auch wieder mit den beschränkten Möglichkeiten eines Trios voll ausspielen. Und das tut auch uns gut. Und den Stücken erst recht.“
Was dann auch zur Folge hat, dass sich die Musiker auf der Bühne neben dem reinen Spielen darauf konzentrieren könnten, zu unterhalten. Schließlich geht ja niemand ins Konzert, damit eine Band dem Publikum ihre neueste Platte vorspielt. Vielmehr ist da Spielfreude und echte, ehrliche Kommunikation mit den Zuhörern gefragt. Und wer Sizarr während der letzten Gastspielreisen erleben durfte, der weiß, wie unwiderstehlich und mitreißend sie auf der Bühne sind. Die nächste Tournee kann also kommen.
Aktuelles Album: Nurture (Four Music / Sony Music)
Foto: Klein&West