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LINDI ORTEGA

Wonderwoman aus Blech

LINDI ORTEGA

Wer Lindi Ortega verstehen will, der muss ihre roten Stiefelchen verstehen. Schon das Debütalbum der quirligen Kanadierin hieß ´Little Red Boots´ und im Titelsong gibt es die Zeile ´You Will Know Me By My Little Red Boots´. Und tatsächlich: Bis heute mag Lindi Ortega nicht auf ihre Stiefelchen verzichten, die stets zum Teil ihrer – sagen wir mal expressiven – Bühnen-Outfits gehören.

„Nun, ich fühle mich teilweise von Johny Cash beeinflusst, der ja immer schwarz trug, und teilweise von Wonder-Woman“, erklärt sie, „daher kommen wohl auch die roten Stiefelchen. Das verleiht mit so ein Superhelden-Feeling. Wenn ich die Stiefelchen anziehe, dann ziehe ich auch meine Bühnen-Persona an. Die Stiefelchen sind so auch mein Glücksbringer geworden. Es gibt so wohl auch kaum jemand zweiten, der sich so kleidet wie ich. Ich bin selbst auch ein Fan von Leuten, die eine Bühnen-Persona verwenden. Und deswegen will ich auch so etwas haben.“

Ach ja: Der hier erwähnte Johnny Cash ist auch musikalisch ein großes Vorbild für Lindi Ortega – so vergeht kaum ein Konzert, in dem sie kein Johnny Cash Stück – wie z.B. ´Folsom Prison Blues´ spielt. Die Liebe zur klassischen Americana – vor allen Dingen der Country-Musik – zieht sich wie ein weiterer roter Faden durch das Leben von Lindi Ortega. Das geht sogar so weit, dass sie schon für ihre zweite CD, ´Cigarettes & Truckstops´ von Toronto nach Nashville zog, um sich von den Vibes der Music City inspirieren lassen. Mittlerweile hat sie sich dort mit heiterer Gelassenheit auch musikalisch etabliert. Ihre neue, dritte CD ´Tin Star´ greift nun diesen Abschnitt in Lindi Ortegas Leben auf und bietet eine Sammlung von Songs, in denen sie – wie gewohnt – mit einer Prise Ironie ihre momentane Situation beleuchtet. Dabei ließ sie sich dieses Mal von Produzent David Cobb unterstützen, der zuletzt durch seine Arbeiten für die Scissor Sisters und Shooter Jennings auf sich aufmerksam gemacht hatte. Ist das auch der Grund, warum es auf der neuen Scheibe weniger puristisch zu geht als noch auf dem Vorgänger?

„Ja – aber ich muss gestehen, dass ich bin ein wenig mit Social Distortion getourt bin“, erklärt Lindi dies, „und das färbt natürlich ab, denn so bekam ich Spaß an diesen rauen Sounds. Es passte auch ganz gut zu Songs wie 'I Want You', der so ordentlich rockt. Wir haben das auch auf einem Rockabilly-Punkrock-Festival in Silverado ausprobiert. Das passte dann durchaus.“

Warum arbeitet Lindi eigentlich mit einem Produzenten zusammen – wo sie doch andererseits sehr genau weiß, was sie will?

„Nun ja, ich habe mir schon mal überlegt, eine Scheibe nur mit mir und meiner Gitarre aufzunehmen, aber andererseits bekommen die Songs durch die Arbeit mit einem Produzenten mehr Raum zum Atmen und sie blühen auf diese Weise sozusagen auf. Es ist außerdem interessant zu sehen, wie ein Produzent meine Songs interpretiert und welchen Charakter meine Stücke dadurch annehmen. Deswegen habe ich auch auf jeder CD mit einem anderen Produzenten zusammengearbeitet. Dadurch, dass David Cobb mit so vielen verschiedenen Acts arbeitete, vertraue ich seiner Vision.“

Schon auf ihrer Debüt-CD beschäftigte Lindi Ortega sich mit dem Thema, dass sie mit bestimmten Erwartungshaltungen konfrontiert wurde, die nicht immer erfüllen wollte. Darauf bezieht sich auch der Titelsong des neuen Albums ´Tin Star´.

„Ich wohne in Nashville – einer Stadt in der es einerseits viele große Namen gibt, derentwegen die Touristen dort hin kommen und andererseits einem großen Pool an talentierten Musikern, die jenseits des Glitzers ihre Musik spielen. Und mit diesen Leuten fühle ich mich sehr verbunden, weil ich das auch durchgemacht habe. Andererseits weiß ich jetzt auch ein wenig, wie es auf der anderen Seite aussieht, weil ich ja ein wenig Erfolg mit meiner Musik habe. Die Idee zu den Tin-Stars kam von der Tradition hier auf dem Land, Ornamente an die Scheunen zu hängen, die eben aus Blech sind. Und die Leute im Underground von Nashville sind für mich die Tin-Stars, die kleinen Helden, die Musik machen, weil sie es lieben und nicht, weil sie berühmt und reich werden möchten.“

Gerade in Nashville ist die Konkurrenz sicherlich noch größer als an anderswo – eben weil die Music-City als Magnet für all jene gilt, die es in dem Country-Genre zu etwas bringen wollen. Wie geht Lindi Ortega, die selbst zu den ´Zugereisten´ zählt, denn mit dieser Situation um?

„Ich denke nicht über Konkurrenz nach. Wenn man damit ein Mal anfängt, wird man schnell verrückt“, meint sie bestimmt, „ich will nicht irgendwelchen Erwartungen entsprechen müssen. Ich verfolge einfach meinen eigenen Pfad und mache mein eigenes Ding und versuche Songs zu schreiben, die ich interessant finde und zu denen die Leute eine Beziehung eingehen können. Wenn ich auf die Konkurrenz achtete, dann wäre ich mit Sicherheit auch weniger originell – und es ist mir ja sehr wichtig, etwas Originelles zu produzieren und mich nicht zu wiederholen. Die Herausforderung dabei ist, in der Lage sein zu können, verletzlich zu sein und sich Fremden gegenüber zu öffnen. Jedenfalls wenn man sein Ziel, aufrichtig sein zu wollen, im Auge behalten will. Das ist nicht immer einfach, weil es ja nun doch Themen gibt, über die man nur schwer kommunizieren kann.“

Lindis Rezept diesbezüglich ist übrigens ihr Humor. Nicht nur, dass sie sich selbstironisch auf die Schippe zu nehmen weiß (sowohl in ihren Songs, wie auch auf der Bühne) – so bekommen auch durchaus düstere Themen wie Tod, Verlust oder Abhängigkeit einen Twist, den Lindi als ´corky´ – also ein wenig verrückt bezeichnet. Und wenn das nicht reicht, gibt es ja immer noch die ´Little Red Boots´.

Aktuelles Album: Tin Star (Last Gang Records)

Foto: Julie Moe

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