Zeiten ändern sich. Westbam kann ein Lied darüber singen und gilt seit nunmehr drei Jahrzehnten als Aushängeschild des kommerziell erfolgreichen Elektro – mit der Love Parade berühmt geworden, war es in den vergangenen Jahren erstaunlich ruhig um ihn und natürlich wählte er die Abgeschiedenheit nicht ohne Grund: „Mein neues Album zog und zog sich und doch ich muss sagen, früher damit rauszugehen, wäre einfach falsch gewesen“, entschuldigt sich Maximilian Lenz, der Mann hinter Westbam. Er wirkt immer noch erstaunlich frisch und agil, scheint den Draht zum eigens mit inspirierten Genre nicht verloren zu haben und sieht trotzdem Unterschiede zu früher: Eine neue Generation an Feier-willigen Menschen sei herangewachsen und die zu erreichen, darum ginge es mit dem neuen Werk ´Götterstrasse´ ebenso wie die alten Anhänger zufrieden zu stellen. Ein Balanceakt, der jede Menge Mut erfordert.
Er ist nervös, läuft kreuz und quer durch sein Headquarter in Berlin-Charlottenburg und weiß nicht so recht weiter. „Eigentlich wollte ich gerade eine Aspirin nehmen, habe aber die Pillen vertauscht und weiß nicht genau, was jetzt passiert“, wundert sich Westbam vor dem Fenster stehend und man selbst überlegt kurz, von welcher Pille hier die Rede ist.Mit einem Lächeln beruhigt er sofort und betont, dass das Interview nicht in Gefahr sei, denn beim Fehlgriff handle es sich um Paracetamol und die hat er entgegen der Verpackungsbeilage ´Aspirin-mäßig´ zerkaut.
„Was echt eklig schmeckte und eine neue Drogenerfahrung darstellt. Zumindest hatte ich das zuvor noch nicht oder kann mich nicht erinnern.“
In diesem Moment, so Westbam weiter, fiele ihm zurückblickend auf, dass er in den vergangenen dreißig Jahren eigentlich kein Interview führte, in dem es nicht um Drogen ging – und ausgerechnet jetzt fängt er selber mit dem Thema an.
„Welch Ironie und das, obwohl ich mit euch Journalisten unbedingt über die Texte meines neuen Albums sprechen wollte und nicht wie ihr das immer wollt, über illegale Dinge.“
Aber der Reihe nach, denn immerhin handelt es sich bei Westbam um einen der wichtigsten Vertreter deutscher Elektronikmusik – um einen Künstler, der es über die Szene hinausgeschafft hat, die Charts Ende der Neunziger nach Belieben dominierte. Millionen Menschen an die Siegessäule in Berlin manövrierte und über den Verlust des Massen-Rave „Love Parade“ heute noch traurig ist.
„Um ehrlich zu sein: Ich fand das zwar gewöhnungsbedürftig, dass Berlin zum Schluss nicht mehr Veranstaltungsort war, wollte mich aber der neuen Region nicht verschließen.“ 2009 legte er noch in Bochum auf. Die vorletzte Love Parade, ehe es zur bekannten Katastrophe mit 21 Todesopfern in Duisburg kam.
Das ehemals von ihm mit inszenierte Event sei aber vorher schon nicht mehr sein Baby gewesen, fügt er hinzu und so erschien bizarrer weise einen Tag vor dem Unglück seine Abschiedscompilation ´A Love Story 89-10´. Ein Zufall, der Westbam drei Jahre später noch einen Schauer über den Rücken treibt:
„Das ist unheimlich und mehrfach habe ich darüber nachgedacht, was das aussagt“, überlegt er während ihm fast das Cap vom Kopf rutscht. „Viele haben mich darauf angesprochen und gefragt, wie ich mir das erkläre.“
Um allerdings wirklich zu verstehen, wer dieser Mensch mit dem Massenpublikum im Rücken ist, muss man viel weiter zurückgehen: Westbams erster Partyabend datiert auf das Jahr 1981 und fand in einem Schwulenclub in Berlin statt. Dort habe er als Teenager zum ersten Mal eine Community erlebt, die er vorher nicht kannte.
„Schnallen und Lederklamotten schienen Standard zu sein und dann schnüffelten die alle Poppers, lebten in einer anderen Welt als ich sie gewohnt war.“
Hineingezogen wurde er bald selbst, suchte sich als Künstler mit Band im Rücken sein Publikum und brachte das Punk-Fanzine „Schwarz Rot Gold“ auf den Markt.
Parallel wuchs die Technoszene in Amerika heran, Detroit erklomm den Status der Vorzeigestadt einer ganzen Generation und fixte die Clubs in Westberlin an. Der kühle, treibende Sound wurde importiert und eine eigene Gemeinde scharrte sich um ihn - Westbam wurde einer ihrer Initiatoren, schmiss mehrere Partys und Anfang der Neunziger gelang ihm der Sprung in die breite Öffentlichkeit.
„Es ist mit der Zeit eine andere Generation herangewachsen. Der Cut zwischen den Leuten, die ich damals kannte und denen, die jetzt Läden wie das Berghain großmachen, ist für mich deutlich spürbar. Trotzdem haben sich die Uhrzeiten meiner Sets nicht geändert – du kannst also sagen, ich muss mir alle fünf Jahre ein neues Publikum erspielen. Weil die einen Kinder kriegen, die anderen im Job eingespannt sind und niemand nachts um halb Drei noch irgendwo anzutreffen ist.“
Das Thema „Nacht und Partykultur“ sei auch deswegen zentral für sein neues Album ´Götterstrasse´. In Ruhe gelassen hat es ihn eh nie, denn als DJ ist das der normale Tagesrhythmus: Wenn es hell ist zu schlafen, nachts auflegen und diese Routine ändere sich mit der Zeit kaum. Fragt man ihn, wie er sich mit Mitte Vierzig noch fit hält und die Motivation nicht verliert, ringt er sich ein Lächeln ab:
„Ich war ja nie raus“, folgt die Antwort kurz und geschickt lenkt Westbam das Gespräch zum aktuellen Release zurück: „Deswegen konnte ich auch Leute wie Iggy Pop, Brian Molko oder Kanye West engagieren, weil ich nie weg war. Was erklären dürfte, warum wir für ‚Götterstrasse‘ etwas länger brauchten: Die ganzen Terminkalender und Verträge waren schon irre.“
Kenne er all die Feature-Künstler auch persönlich und gönnt sich mit Typen wie Lil Wayne, Bernard Sumner oder Richard Butler hin und wieder einen Kaffee am Nachmittag?
„Nein, vieles lief über Mailanfragen und ich war wirklich froh, wenn die jeweils Angefragten mit den Demos was anfangen konnten. Bei den Texten ließ ich allen freie Hand – jeder konnte selbst entscheiden, wie das Thema ausschauen soll.“
Worüber er bei aller Freude allerdings nicht ganz glücklich ist: Dass die aktuelle Single ´You Need The Drugs´ als Antidrogenhymne verhandelt wird. Dies sei ihm zu ´Oberlehrer-mäßig´ und verfehle das Thema zudem ein wenig:
„Es ging mir nicht um den ausgestreckten Zeigefinder und auch nicht darum, alles zu verherrlichen.“ Vielmehr solle der Track zeigen, wie schnelllebig die Nacht ist und Menschen sich in ihr verlieren können.
Falsch zu glauben auch, so Westbam weiter, „dass ich mit dem Aufmarsch der vielen Gaststars mein 30. DJ-Jubiläum feiern wolle – am liebsten hätte ich ‚Götterstrasse‘ vor drei Jahren rausgebracht. So passt es natürlich ebenfalls, war aber keineswegs geplant.“
Am Puls der Zeit entstanden, klingt das Werk nicht wie das eines Künstlers, der bereits ein Haufen an Geschichte im Elektrogenre auf dem Buckel hat. Was ihm erste Kritiken bereits attestieren und Westbam nickt angesichts solcher Komplimente äußerst freundlich und weist darauf hin, dass es ihm nicht darum ging trendy zu sein.
„Ich mache Musik, die mir gefällt und nicht das, was gerade funktioniert. So läuft es seit Anfang an und hat sich nach all den Jahren nicht geändert“, gibt er selbstsicher zu und hat allen Grund zur Freude.
Eben weil ´Götterstrasse´ nicht nur dem Tech-House untergestellt ist, sondern viele Facetten zeigt, die trotz verschiedener Gastbeiträge nicht wie zusammengewürfelte Ideen wirken, sondern ein erstaunlich homogenes Klangbild bieten. Einzig bei der Namenssuche war sich Westbam lange Zeit nicht sicher:
„Erstaunlicherweise verstand ihn noch niemand falsch. Ein bisschen großspurig könnte ‚Götterstrasse‘ schon rüberkommen. Es geht mir nicht darum, dass ich der Gott bin und am Ende der Straße stehe - vielmehr handelt es sich um ein Wortspiel, dass ich letztens aufschnappte und zur Sicherheit auch googelte, bevor es aufs Cover kam.“
Und wie sehe es aktuell mit den Ambitionen für die Zukunft aus? „Die lasse ich auf mich zukommen und plane nicht in den Ruhestand zu gehen.“
Der Weg, der ihn auf die ´Götterstrasse´ führte, ist also noch lange nicht zu Ende und wer versehentlich zerkautes Paracetamol ohne Probleme verkraftet, der wird auch weiterhin jede Herausforderung meistern.
Das Leben in der Nacht, Westbam kann und will es nicht loslassen.
Aktuelles Album: Götterstrasse (Vertigo Berlin / Universal) Vö: 26.04.
Foto: Andrea Stappert