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PROFESSOR GREEN

Auf Erfolg gepolt

PROFESSOR GREEN

Er ist ein textstarker Rapper. Gestählt durch den Gewinn von über 100 Rap-Battles. Er stammt aus East-London. Aus Hackney um genau zu sein. Die Straßen dieses Stadtteils bieten mehr als genug Stoff für seine ätzende Gesellschaftskritik. Nicht umsonst heißt der Bezirk aufgrund seiner hohen Kriminalitätsrate „Murder Mile.“ Die Rede ist von Stephen Paul Manderson, besser bekannt unter seinem Künstlernamen Professor Green. Doch der Mann ist wandlungsfähig geworden. Neben seinen Rapschlachten traut er sich gemeinsam mit Emeli Sandé ins Vorprogramm der Deutschlandkonzerte von Coldplay.

Welch ein Spagat? Oder vielleicht auch nicht. Schließlich atmet er, ähnlich der Combo um Chris Martin, nicht zum ersten Mal die Luft oberer Hitparadenregionen. Im letzten Jahr hat es der 27-jährige Rapper mit der Single „I Need You Tonight“ bereits auf Platz drei der englischen Hitparade geschafft. „Read All About It (feat. Emeli Sandé)“ überstrahlt diesen Erfolg noch und nistete sich auf Platz Eins ein. Auch sonst hat er schon einiges an Ehrungen eingeheimst: für seine Single „Jungle“ kriegt er den NME Best Dance Floor Filler Award, der MOBO Award als bester HipHop/Grime-Act folgt auf dem Fuße, den BT Digital Music Award als Breakthrough Artist of the Year gibt es auch noch und der MTV Europe Music Award rundet den Strauß ab. Professor Green ist von Anfang auf Erfolg gepolt. Seit der ersten gewonnen Wortschlacht zeigt der Erfolgspfeil steil nach oben.

Weg vom Kampfrap

Professor Green aber hat sich auf dem aktuellen Doppelabum „At Your Convenience“ künstlerisch verändert und der pure Kampfrap macht da auch schon mal einer Ballade mit feinen Pianoklängen Platz.

„Das hat natürlich auch damit zu tun, welche Musik mich derzeit zu eigenen Titeln inspiriert“, klärt er auf, „ich habe beispielsweise in letzter Zeit sehr viel Musik von Singer-Songwriter gehört. Oder auch viel atmosphärische Material. Auch die neuen Sachen von Mike Skinners The Street haben ihren alten Geist wieder gefunden. Das ist schon gegensätzlich zu den Einflüssen, die ich früher genannt hab, etwa Notorious B.I.G.“

Aber natürlich erfordert das Schreiben von Liedern auch einen weiteren Schwerpunkt, nämlich den der Musik.

„Die melodische Struktur meiner Stücke ist mir genau so wichtig, wie die rhythmische, die sich ja durchaus noch vom Takt des Texts leiten lassen kann“, sagt Professor Green, „ein gutes Stück ist einfach mehr als ein strikter Beat.“

Wer sich aber öffnet, wie es Professor Green nun tut, der gewinnt auch ein anderes Publikum.

„Es ist eine große Herausforderung mit deiner Musik, einem Publikum gegenüber zu treten, das nicht unbedingt so rapaffin ist, wie mein bisheriges“, gesteht der Herr Professor, „aber wer will denn schon ewig in der Komfortzone des bisher Erreichten bleiben? Ich jedenfalls nicht!“

Professor Green muss nach der Entscheidung, einen neuen Weg zu beschreiten, nicht mehr nur auf dicke Hose machen. Er darf auch seine sensible Seite zeigen. So im Lied „Read All About It“, ein autobiographisches Stück, das sich in schonungsloser Offenheit über den Selbstmord seines Vaters auslässt. Der Rapper, der bei seiner Großmutter aufwuchs, hat seinen Vater zuvor zum letzten Mal gesehen, als er 18 Jahre alt war. Ein Statement dieser Art kommt nicht ohne die sensible Annäherung an das Thema aus.

Bunte Vielfalt

Trotz der Vielfalt des neuen musikalischen Ansatzes, der von Funkanleihen über riffige Gitarren bis hin zu Dupstep und Drum’n’Bass reicht, opfert Professor Green seine Rapvergangenheit nicht komplett.

„Zuviel habe ich den Zeiten des Kampfrap zu verdanken“. Lacht Professor Green, „und der Humor und die Spontaneität, die du dafür brauchst, die steht auch meinen neuen Liedern sehr gut zu Gesichte. Und habe ich früher nur in kleinen Reimen parolenartig gearbeitet, bietet mir eine Platte die Möglichkeit, insgesamt eine große Geschichte zu skizzieren, die aus vielen kleinen Kapiteln besteht.“

Auch wird er mit seiner aktuellen Platte „At Your Convenience“ bereits mit Künstlern verglichen, wie mit seinem früheren Mentor Mike Skinner oder Plan B.

„Auf der einen Seite ist natürlich eine Ehre, mit diesen Leuten verglichen werden, die das alles schon sehr viel länger machen als ich“, erwidert Professor Green, „aber andererseits geht es ja nicht um Vergleiche. Ich will nicht unbedingt vergleichen werden, ich will an dem gemessen werden, was ich gerade tue.“

Auch mit Eminem wird und wurde er häufiger verglichen. Doch einen Vorwurf muss Professor Green diesbezüglich gefallen lassen, wer das scharfe Wortschwert und die schneidende Musik dem großen Publikum zuführt, der wird dies nicht kompromisslos tun können. So kann der von ihm gewählte Ansatz der bunten Vielfalt auch zur Beliebigkeit führen. Und dafür sind gerade Coldplay mit ihren auf Stadionrock gebürsteten Klängen das beste Beispiel. Die Kasse stimmt zwar mit Sicherheit, und die Konzerte werden zu großen Familienfesten mit Kindergeburtstagscharakter. Wohl wissend, dass die große Show und das große textliche Anliegen durchaus zusammengehen können, muss sich Professor Green dennoch entscheiden, ob er genau dieses Publikum auch erreichen will? Im Vorprogramm von Coldplay hat er gezeigt, das er es zumindest kann! So bleibt es der Zukunft vorbehalten zu zeigen, wohin der weg von Professor Green letztlich führen wird.

Aktuelles Album: At Your Convenience (Virgin Records/EMI)

Foto: Henrik Knudsen


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