Keine amerikanische Band hat an der Punkrock-Geschichte mehr mitgeschrieben als Bad Religion. Die Alben „How Could Hell Be Any Worse?“, „Suffer“, „No Control“ und „Recipe For Hate“ sind Meilensteine, an denen niemand vorbeikommt, der sich mit dem Genre ernsthaft auseinandersetzt. Die Kalifornier haben Tausende anderer Musiker beeinflusst, und Gitarrist Brett Gurewitz ist Gründer des wichtigen Punkrocklabels „Epitaph Records“.
„Ich bin stolz darauf, was wir in 30 Jahren erreicht haben, auch wenn es sich ziemlich seltsam anhört: 30 Jahre Bad Religion“, sagt Brett Gurewitz im Interview mit Westzeit. „Wir hatten und haben eine großartige Zeit, und es gibt nur eine Sache, die ich wirklich bedauere: unser zweites, grottenschlechtes Album ‚Into The Unknown’. Hahaha!“´Mr. Brett´, wie er genannt wird, hat auch das aktuelle, 15. Studioalbum „The Dissent Of Man“ produziert und veröffentlicht es auf seinem Label. Während seine Bandkollegen auf den Bühnen Europas das neue Werk promoten, sitzt er in Hollywood und kümmert sich um sein Plattenfirma. Dass er nicht dabei ist und mit den anderen auftritt, stört ihn überhaupt nicht. Im Gegenteil.
„Ich werde wohl nie mehr mit der Band auf Tour gehen. Nur hier in der Umgebung mal ein Konzert, und schon dabei fühle ich mich eigentlich unwohl. Auf der Bühne zu stehen ist überhaupt nicht mehr mein Ding. Früher war das anders, aber ich bin es einfach nicht mehr gewohnt. Mit den Jungs live zu spielen, das ist, als ob ein Voll-Amateur mit Tiger Woods Golf spielt. Ich wollte dieses Tourleben nicht mehr und ich vermisse es auch nicht.“
Unter anderem wegen dieses harten Tourlebens hatte Mr. Brett Bad Religion 1994 verlassen. Er wollte und musste sich mehr auf seine Labelarbeit konzentrieren und Bands wie The Offspring oder Rancid aufbauen. Epitaph ritt damals ganz oben auf der Punkrockwelle, die Mitte der 90er durch die halbe Welt schwappte, und profitierte immens vom Erfolg seiner Bands. Allein „Smash“ von The Offspring verkaufte sich elf Millionen Mal. Nicht nur deshalb hat Gurewitz dem Punkrock viel zu verdanken.
„Als Jugendlicher hatte ich kaum Freunde, ich gehörte nirgendwo dazu. Auch Sport mochte ich nicht. Dann kam Punkrock. Es war, als hätte ich endlich meinen Indianer-Stamm gefunden, die Leute zu denen ich gehöre. Das bedeutet Punkrock für mich: mein Zuhause, mein Leben, meine Familie, meine Freunde.“
Gurewitz, der Punk-Veteran. Kaum jemand ist so lange so fest in der Szene verwurzelt wie er. Der 48 Jahre alte Familienvater hat Trends kommen und gehen sehen und war maßgeblich daran beteiligt, dass Punkrock auch für den Mainstream interessant wurde.
„Geändert hat sich vor allem, dass Punkrock nichts Neues mehr ist, er ist ein Teil der Musikwelt geworden. Früher war alles neu, aufregend und verdammt gefährlich. Das ist der größte Unterschied, wenn ich auf die Zeit vor 30 Jahren zurückblicke. Punkrock ist im Grunde etwas sehr konservatives, weil es im Kern darum geht, minimalistisch zu sein. So viele Möglichkeiten, wohin Punkrock sich entwickeln kann, gibt es deshalb gar nicht.“
Musikalisch haben sich auch Bad Religion kaum verändert. Seit „Suffer“ (1988) hat die Band ihren Stil gefunden und ist ihm treu geblieben. Was sich ändert und die Alben stets beeinflusst hat, ist die Zeitgeschichte. Bad Religion waren und sind immer eine politische Band gewesen.
„Das neue Album ist nicht mehr so düster wie der Vorgänger, denn es haben sich ja schließlich auch einige Dinge verändert bei uns. Ich bin stolz darauf, dass die Leute in meinem Land Barack Obama zum Präsidenten gewählt haben. Bush war wirklich der schlimmste Präsident, den ich je erlebt habe. Um ehrlich zu sein, ich hatte es auch wirklich satt, meine Regierung zu hassen.“
Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Sänger Greg Graffin und Brett Gurewitz finden noch genug am Zustand der Welt auszusetzen. Parolen waren allerdings noch nie ihr Ding.
„Ich finde, dass Leute auch in 100 Jahren noch verstehen müssen, was ich mit meinem Song gemeint habe. Deshalb schreibe ich Texte, die nicht explizit sind. Ich schreibe nicht „Fuck Bush“, sondern drücke mich anders aus, und trotzdem weiß jeder, dass ich genau das meine. Wir sind im Grunde echte Intellektuelle, Greg ist mittlerweile ja sogar Professor. Wir haben uns schon immer für Wissenschaft und Literatur interessiert. Man könnte uns auch die Nerds des Punkrock nennen.“
Aktuelles Album: The Dissent Of Man (Epitaph)
Foto: Myriam Santos