Philipp Poisel wägt nachdenklich jede Antwort lange in seinem Kopf, bevor er sie rauslässt. Das 25-jährige musikalische Ziehkind von Herbert Grönemeyers Grönland Label hat seine erste Platte im Kasten. Eine CD, deren Stücke die Haut nicht nur an der Oberfläche ritzt. Der Schnitt geht tiefer. Und er schmerzt. Aber es ist ein süßer Schmerz, der Suchtpotential hat. Das große Thema von Philipp Poisel ist die Liebe. Dabei ist er nicht der Minnesänger, der sich unter das Fenster der Angebeteten stellt und seine Ballade schmettert.
Dabei wären seine Stimme und seine Gitarre doch vortreffliche Werkzeuge. Doch er verschlüsselt lieber im stillen Kämmerlein Liedbotschaften, die er wie einen Ballon aufsteigen lässt. Und hofft, dass dieser mit dem Zettel der Liebe dran, ihr vor die Füße fällt. So entsteht ein kraftvoller Zauber in der Dimension der beiden Königskinder, die zueinander nicht kommen können. Ein Zauber voller Sehnsucht, die sich in einen großvolumigen Traum flüchtet. Ein Traum der im einen Moment das Herz rasen und es im nächsten stillstehen lässt.Alle Uhren auf Anfang
Wer sich den geraden Weg so verbaut, den treibt die Unruhe als Vagabunden vor sich her. Philipp Poisel schreibt dabei nur noch mehr Lieder, die noch großvolumiger sind, als der Traum. Die Stücke stapeln sich und er schleppt sie so mit sich rum. Auch zurück in seine schwäbische Heimat. Dort wird nun wirklich nicht an jeder Straßenecke übers Musikmachen gesprochen. So verwundert es nun überhaupt nicht, dass Philipp Poisels Ohren groß und größer werden, als sich in einem Café zwei Kerle über Musikproduktion. Er kann nicht umhin, sich dazuzusetzen, um von seinen sperrigen Liedern zu erzählen. Schnell ist eine gleiche Wellenlänge erreicht. Der Studiobesitzer heißt Frank Pilsl. Bevor sich die Türen für Philipp Poisel öffnen, wird noch schnell ein Deal gemacht. Ein Album soll produziert werden, dass ihm gerecht wird. Beide lassen sich von niemandem beraten. Und erst ganz Schluss, wenn alles fertig ist, dann wird geschaut, ob es jemand haben will oder nicht. Ganz egal, wie es ausgeht, es ist gut so. Die Produktion wird intensiv, einfühlsam und außergewöhnlich. Philipp Poisel ist ganz bei sich. Das bemerken auch große Plattenfirmen. Doch sie wollen dies ändern und jenes ganz anders machen. Schnell werden die Verhandlungen abgebrochen und das eigene Label Holunder-Records aus der Taufe gehoben. Beim Aufbau eines Netzwerkes zur Vermarktung der Scheibe unter demTitel „Wo fängt dein Himmel an?“ gelangt sie auf den Tisch des Grönland-Labels und damit nach London. Da ist er wieder, der Umweg.
Keine Wahl
Philipp Poisel will nicht schreiben, er muss. Er wird getrieben. Von Melodiefetzen, von Wortkaskaden und Gedankenfragmenten in seinem Kopf. Beides lässt ihm keine Ruhe, er kann an nichts anderes mehr denken. Eine Spannung baut sich in ihm auf. Akuter Schmerz flammt auf.
Doch Philipp Poisel sitzt gerade in der S-Bahn, er hat nie ein Skizzenbuch bei sich. Er ist schlampig mit seinen Ideen. Und was ihn morgens quälte hat er in der Dämmerung bereits wieder vergessen. Doch genau darin liegt das Geheimnis seiner unglaublich zupackenden Melodien und Texte. Nur die Stücke kommen letztendlich zur Ausführung, die so stark sind, dass sie sich ein zweites Mal mit noch größerer Macht in Philipp Poisels Denken zwängen und querstellen. Es handelt sich förmlich um Ideendarwinismus, um natürliche Ideenauslese. Wenn er dann zur Gitarre greift, muss es raus. Die Zeit bleibt dann für ihn stehen. Jede Verabredung wird vergessen. Alles wird unwichtig. Und fertig ist, wenn fertig ist. Erst dann gibt sein Herz wieder Ruhe. Philipp Poisel entwirft sparsam instrumentierte Melodiearchitektur, geprägt durch Gitarre und Stimme. Weitere Bausteine sind Schlagzeug, Kontrabass, Cello oder auch ein Klavier.
Liebe ist zeitlos
Obwohl die Entstehung einiger seiner Liebeslieder bereits Jahre zurück-liegt, schafft es Philipp Poisel ihnen gnadenlose Aktualität zu verleihen. Immer wenn er sie live vorträgt, arbeitet er sich zur den Wurzeln ihrer Entstehung vor. Das auslösende Gefühl ist möglicherweise verschwunden, aber Erinnerung verschwindet nie. Der Moment des Liebessturms ist genial eingefangen. Philipp Poisels Lieder ergreifen immer aufs Neue. Genau wie die Geschichte von Romeo und Julia nach mehr als 400 Jahren immer noch zu Tränen rührt. Und dann ist es auch völlig egal, ob Philipp Poisel vor erlesenem Clubpublikum spielt oder vor Zehntausenden im Monsterstadion. Die Intimität seiner Stücke geht nie verloren.
Aktuelles Album: Wo fängt dein Himmel an? (Grönland / Warner)