
Der Sozialpalast in Münster steht seit vielen Jahren für Konzerte und Kunstprojekte mit ungewöhnlicher Note, ganz egal, ob sie im Wohnwagen, im Wartehäuschen am Bahnsteig oder auf der eigenen kleinen Spielwiese im Schatten des Hauptbahnhofs stattfinden. Passend zum skurrilen DIY-Charme der Location zeigen auch die beiden musikalischen Gäste an diesem nasskalten Samstagabend, dass es nicht viel braucht, um zu begeistern, solange Fantasie, Leidenschaft und die Freude am eigenen Tun im Mittelpunkt stehen. So ist es für die betont ruhige, ja fast ein wenig schüchtern wirkende Johanna Amelie ein Leichtes, die facettenreich zwischen Indie-Folk und Pop platzierten Bandarrangements ihrer feinen aktuellen LP ´Beginnings´ auf Stimme und Keyboard herunterzubrechen, ohne dass Anmut und Eleganz darunter leiden, bevor sie am Ende zur Stromgitarre greift und dann noch emotionaler, unmittelbarer und packender klingt. Mal sind ihre englischsprachigen Lieder von Rainer Maria Rilkes Briefwechsel mit Lou Andreas-Salomé inspiriert, mal zieht sie Parallelen zwischen der Abspaltung des Monds von der Erde und der Abnabelung eines Kindes von seiner Mutter und offenbart so in zeitlos schönen Liedern außergewöhnliche Songwriting-Perspektiven jenseits Melancholie-getränkter Coming-of-Age-Lyrik. Johanna Zeul dagegen sagt man nach, dass sie mit den Fingern in der Steckdose schläft und im Sozialpalast ist schnell klar, dass das nicht geflunkert ist. Nur mit einer Akustikgitarre als Begleiter powert sie vor Energie und Bewegungsdrang sprühend durch ihre von NDW-Flair umwehten Zeitgeist-Lieder zwischen Amüsement und Köpfchen und kredenzt dem handverlesenen Publikum atemloses Arena-Entertainment, während ihr die Textzeilen aus dem Mund purzeln wie Judith Holofernes zu besten Wir-sind-Helden-Zeiten: Auch wenn sie bisweilen übers Ziel hinausschießt: ein großer Spaß im kleinen Kreis.
Weitere Infos: johannaamelie.com