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REEPERBAHNFESTIVAL 2019

18.09.-21.09.2019 Hamburg

Dass sich bei der 14. Auflage des Reeperbahn-Festivals 50.000 Besucher tummelten – und damit wiederum ein Rekord aufgestellt wurde – machte sich von Anfang an bemerkbar. Gleich bei der ersten Club-Show am Mittwoch – der Neon Nashville-Country Relaunch-Veranstaltung im als Spielstätte neu hinzugekommenen Irish Pub Thomas Read gab es kurz nach der Öffnung der Türen Einlass-Stopp – und das setzte sich dann bei den klassischen Spielstätten wie dem Molotow, fast allen Venues des Klubhauses und vor dem Docks fort.

Und zwar nicht – wie früher – erst am Wochenende, wo das Laufpublikum hinzu kam, sondern fast durchgängig. Fazit: Da müsste in den nächsten Jahren auf diese oder jene Weise dran gedreht werden, wenn das Ganze für den einzelnen Besucher logistisch bei der Planung überhaupt noch kalkulierbar bleiben soll.

Zum Glück war aber auch das Angebot an Musik-Acts erneut ausgeweitet worden. Insbesondere der Umstand, dass es kaum Absagen gab und dass viele Acts gleich mehrfach an verschiedenen Tagen spielten, erhöhte die Chancen, die betreffenden Lieblingsacts dann – trotz der o.a. Problematik - auch tatsächlich in Augenschein nehmen zu können, beachtlich. Hilfreich war in diesem Zusammenhang auch eine neue Spielstätte – die Viva Con Agua Hangout Stage vor dem Klubhaus – auf der (wie beim N'Joy Reeperbus, der allerdings in diesem Jahr ungünstig in der Nähe der Spielbuden-Bühne platziert war) kurze Showcase-Konzerte auch ohne Bändchen für jedermann zugänglich waren. Vollkommen unterschiedliche Acts wie Jules Ahoi, Suzan Köcher's Suprafon, Moli oder Rebecca Lou machten hier mit vier bis fünf Tracks pro Show auf sich aufmerksam und ggf. neugierig auf mehr.

Eindeutige musikalische Tendenzen kann es bei einem Festival, dass sich immer mehr der Vielseitigkeit verpflichtet fühlt, natürlich in Bezug auf Stile oder Genres nicht mehr geben. Die Sache ist dann eher einer länderspezifischen Tendenz gewichen. Wie gewohnt boten die klassischen Festival-Länder-Showcases – das Canada House im Kukuun, das Australian Barbequeim Molotow, der Swiss Business Mixer im Sommersalon, der schwedische Showcase in der Pocca Bar usw. wieder einen allgemeinen Überblick über die verschiedenen Musikstile. Bei den Kanadiern im Kukuun etwa war ein dritter Showcase-Tag am Samstag eingeführt worden, bei dem ausschließlich indigene Musiker und Künstler zu Wort (und Ton) kamen und dort auch auf die politischen Probleme aufmerksam machten, denen sich die kanadischen First-Nations wegen der zunehmenden Umweltzerstörung ausgesetzt sehen. Bei den in diesem Jahr als Länderpartner agierenden Australiern zeigten Acts wie The Stroppies, Ali Barter, Olivia „Olympia“ Bartley oder RVG, dass der Indie-Rock und der Power-Pop noch lange nicht tot (und weitestgehend in Frauenhand) sind. Dänemark, der Länderpartner des nächsten Jahres überraschte mit unerwarteten Konzert-Highlights – etwa mit mehreren Auftritten des Schwesterntrios Velvet Volume, das bereits zum zweiten mal beim RF auftrat und nun die Veröffentlichung des Debütalbums „Look! Look! Look!“ auch bei uns feierte oder zwei Shows des Ensembles Penny Police, dem Projekt der Songwriterin Marja Fjelsted, die mit ihrem Kleinorchester zeigte, dass man auch ohne laute Töne und 3-Minuten Songs auf angenehme Weise faszinieren kann. Österreich hatten viele als Lieferant origineller und innovativer Acts vielleicht gar nicht auf dem Schirm gehabt und dürften somit von den Auftritten von Cari Cari im Mojo Club und 5K HD im Indra weggeblasen worden sein. Einen deutschen Showcase in dem Sinne gab es eigentlich nicht – aber hier zeigte eine große Bandbreite verschiedener Künstler, dass es auch hierzulande recht eklektisch zu geht. So begeisterten etwa Suzan Köcher und ihre Band Suprafon mit einem perfekten Psychedelia-Auftritt im Kaiserkeller, Thees Uhlmann präsentierte seine neue Scheibe im dafür eigentlich zu kleinen Bahnhof St. Pauli (wo danach zu allem Überfluss dann auch noch Mando Diao aufspielten) und viele junge Nachwuchsstars – wie Amilli, Eli, Malik Harris oder Amy Warning versuchten sich an allen möglichen Spielarten der Popmusik. Für die Indie-Entdeckung des Festivals sorgten dann die Lokalmatadoren Summer & The Giantess mit einem politisch motivierten und musikalisch sehr eigenwilligen, basslastigen Hardcore-Set in der Haspa Filiale.



Singer/Songwriter-Acts gibt es heutzutage nicht mehr so viele auf dem RF, jedoch zeigten die Australierin Steph Grace, die Britin Bess Atwell, die Kanadierin Alexandria Maillot, die Schwedin Anna Ternheim oder die Amerikanerin Molly Sarlé dass hier – wie auch insgesamt auf dem Festival – heutzutage eher die Frauen das Sagen haben. Für eher experimentelle Klänge sorgten etwa Lisa Morgenstern mit Elektronik, Klassik und Folklore-Chor in der Elbphilharmonie, die Belgierin Sylvie Kreusch mit einem Disco-Rock-Set in Angie's Nightclub oder – nun ja – die Ukrainische Rapperin Alyona Alyona, die sogar den Anchor-Award für den besten Live-Act des Festivals verliehen bekam. Auch für Rockfreunde wurde wieder einiges geboten: Mattiel etwa spielte an einem Abend gleich zwei mitreißende Indie-Rock-Sets, der Kanadier Jesse MacCormack überzeugte mit einem inspirierten, spielfreudigen Set im Kukuun ebenso wie sein Landsmann Alex Henry Foster, der mit seinem psychedelischen Kleinorchester gleich drei mitreißende, ebenso episch wie improvisatorisch ausformulierte Rock-Dramen aufführte. Die bereits erwähnten Velvet Volume boten klassischen Schweinerock während Virginia & The Flood aus Schweden mit einer gewagten Kombination aus skandinavischer Folklore, progressiver Rockmusik und sirenenhaften Vocals begeisterte.



Anderes blieb eher im Ansatz stecken: Die Eröffnungsveranstaltung „Doors Open“ im als Spielstätte erstmals genutzten Operettenhaus erwies sich – trotz zweier One-Off Shows von Dope Lemon und Feist - als zu elitär und oberflächlich um wirklich auf das Festival einstimmen zu können. Der Versuch eines Major-Labels, die Country-Musik zu rehabilitieren musste zwangsläufig scheitern, da Acts wie Rachel Wammck, Ingrid Andress oder gar die Holländerin Ilse De Lange (!) schlicht keine Country-Musik geboten wurde, sondern Pop-Musik, die einzig durch die Betonung des Storytelling noch Bezüge zur usrprünglichsten weißen amerikanischen Musikform hatte. Die früher als Highlights gehandelten Labelnächte im Docks, Grünspan und in der großen Freiheit gerieten zu einem Spielplatz der Beliebigkeiten ohne zwingend Notwendigkeit (man verpasste also nichts, wenn man diese ausließ). Das Festival-Fillage lag – baustellenbedingt – dieses Jahr einfach zu weit ab vom Schuss, um das dortige Angebot entspannt nutzen zu können. Und auch die Entscheidung, den Anchor-Live-Award einer zugegeben unterhaltsamen, witzigen und sympathischen Künstlerin zu verleihen, die aber im eigentlichen Sinne gar keine Live-Musik macht und bei der es – sprachlich bedingt – nicht um Inhalte gehen konnte, darf als zumindest fragwürdig betrachtet werden. Aber gut: MTV verleiht ja auch Preise für Videos ohne solche noch zu zeigen ... 

Es wird spannend sein zu beobachten, wie sich die Sache dann im nächsten Jahr, zum 15. Jubiläum entwickeln wird.


November 2019
EMMA RUTH RUNDLE
HAYLEY REARDON
NIELS FREVERT, CATT
REEPERBAHNFESTIVAL 2019
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