(März, 240 S., 22,00 Euro)
"Black Metal, Hexerei und Edvard Munch: Eine Jugend in Norwegen" steht auf der März-website als eine Art virtueller Untertitel des neuen Romans der norwegischen Mehrfachbegabung Hval. Noch mehr als ihre fulminante "Perlenbrauerei" (im letzten Jahr ebenfalls bei März erschienen – s. WZ 07/22) ist dieser Text Coming-of-age-Roman, PopKulturEssay, SprachAnalyse, AutoBiografie und auch AutoTherapie in einem. Hval taucht zurück in die Jugendjahre eines zu spät geborenen Provinzteenagers: "1997 ist es zu spät. Metal ist nach den Morden und Kirchenbränden ängstlich geworden und in einer romantischen Phase angekommen. Dem Hass wurden Beruhigungsmittel verschrieben.", in der wütenden Lethargie wächst so furchtbar wie nüchtern die Erkenntnis "Provinzhass ist so einsam." Und doch finden sich GleichgeSinnte: Terese und Venke und die Erzählerin werden zu einer Band, zu einem GesamtKunstWerk aus Hass, WeltSchmerz und Genialität - "zu jung für Black Metal" und doch "corpse paint in deinem Ohr". Zwischen all dem Vor- und Zurückspringen in den Zeiten werden (süd)norwegische Worte seziert und auf ihren (magischen?) TiefSinn geprüft, zugleich schwebt über den Szenerien und Zeiten Edvard Munchs "Pubertät" (und wird aus vielerlei Perspektiven ausgedeutet). Selbst ein gemeinsames Spaghetti-Essen gerät so zur dämonischen Orgie aus Fluch und Ekstase – der Text wird an solchen Stellen zum schwarzbunten LSD-trip (und träumt dann auch schon mal von Otto-Muehl-schen Fäkal-Aktionen - "Fakten und Fiktionen als Zungenkuss"). Zwischen diese Szenen aus traumhaft erinnerter (Anti)Realität, aus Ritual und Splatter, Feminismus und ExperimentierFreude werden kurze Filmideen gestreut (man hat für seinen Bachelor schließlich mal in "versteinerten Filmseminaren" gesessen): "Eine Band aus sechs Mädchen auf einer Bowlingbahn unter düsterer Beleuchtung. Plötzlich bestehen ihre Instrumente aus Papier." Was böse enden muss: "Die Köpfe fallen von ihren Körpern und große Mengen rotes Seidenpapier strömen aus ihren Hälsen." An anderer Stelle eine weitere, nicht minder düstere Vision von einem Küken: eben noch schmiegt es sich "an die Hand, still wie ein Filet.", wenige Zeilen später "das Küken brennt. Aber es ist ein magisches Küken … Dieses Küken ist nicht aus einem Ei gekommen, sondern aus Skype." Oder es wird die Ästhetik von Softpornos aus dem deutschen Nachtfernsehen der 90er untersucht und mit der von Hardcore-Produktionen verglichen. "Die Ästhetik von Hardcore Pornos ähnelt der Bildsprache der evangelischen Weltanschauung." Eine gewagte, aber im Folgenden gut begründete These, verbunden mit kluger Semantik: "Das Wort für Liebe lautet im Norwegischen KJÆRLIGHET, und es enthält das Wort ÆRLIGHET, Ehrlichkeit. Achtzig Prozent Ehrlichkeit...Ist Liebe, auf Norwegisch, Hardcore?" Kurz: nicht nur der höchst geschickt und trotz aller thematischen Verschränkungen und zeitlichen Verschachtelungen stets gut lesbare Text (man könnte hier noch von semi-musikalischem "flow" schwafeln) an sich verzaubert im wahrsten WortSinn, auch Clara Sondermanns kongeniale Übersetzung macht "Gott hassen" zu einer ganz großen Empfehlung.Weitere Infos: www.maerzverlag.de/shop/buecher/literatur/gott-hassen