(Drava, 268 S., 21,00 Euro)
Die Idee, einen Roman in einer alternativen Gegenwart spielen zu lassen, ist nun wirklich nicht neu: Harris’ "Vaterland" oder Eschbachs "NSA" sind nur zwei willkürliche Beispiele. Und wie dort ist auch beim Romandebut des in Berlin geborenen WahlWieners Keppel die erzählte Gegenwart schon eine Weile her, der Held "Felix von Tóth, Magister der Kunstgeschichte und Seefähnrich der kaiserlich-königlichen Marine" berichtet nämlich von Begebenheiten zwischen dem Jahreswechsel 1967/68 und dem 12. Mai 1968. Wie er kurz nach Neujahr im Liebeskummer um seine Verlobte (eine Bauerstochter aus dem Passeiertal) ertrinkt, wie sich am "2. Jänner" in seiner Wiener Wohnung das Blatt aber doch zum Guten zu wenden scheint, weil das "Überseebureau" ihm eine Forschungsreise zum "Zweiten Kontinent" genehmigt und – Moment! Man muss an dieser Stelle erklären, dass es in Keppels Realität weder den ersten noch den zweiten Weltkrieg gegeben hat und deshalb das k.u.k-Österreich noch immer eine Weltmacht ist. Eine, in der die Moderne mit ihrer Technikbesessenheit wesentlich weniger, auf jeden Fall aber deutlich langsamer das Leben der Leute verändert(e) und die Menschen im Grunde noch immer so gemütlich-kleinkariert vor sich hin leben wie im wirklichen Wien der (vorletzten) Jahrhundertwende. Und eine, in der Österreich Entdecker und Kolonialmacht der "Neuen Welt" ist, die hier jedoch nicht in Amerika liegt (die USA haben sich im Bürgerkrieg aufgerieben, mehrfach geteilt und sind – wie auch Preußen - nie über den Status von Regionalmächten hinaus gekommen), sondern in Austrialien (nein, das ist kein Schreibfehler!). Dort soll Felix mit einer Abordnung der Wiener Universität die Felsenbilder der "Aboriwelschen" dokumentieren und auch restaurieren helfen. Bis zur Abreise erlebt er ein wildes erotisches Abenteuer mit der verrucht-dominanten Kellnerin Lora und etliche Anekdoten mit unappetitlichen japanischen Zug-Mitreisenden, entrüsteten Preußen im Kaffeehaus oder einem schlecht erzogenen und mit den italienischen "Fasci" sympathisierenden Cabriofahrer. Das alles liest sich recht flüssig und unterhaltsam, auch wenn zu Beginn die Metaphern und Attribute etwas abgedroschen wirken (das wird im Lauf des Romans besser – oder es liegt’s am Gewöhnungseffekt?) und einige der die Parallelwelt erläuternden Einschübe arg bemüht in die Handlung eingebunden werden. Wie z.B. der Exkurs zum habsburgischen Kaiser von Mexiko (wobei auch diese Geschichte in Anlehnung an das Schicksal des echten Maximilian I. so konstruiert ist, dass es "schon auch so hätte kommen können") oder die Ausführungen zu den "Reformern" um den "Maler, Barfußgeher, Vegetarier, Polygamisten und Auswanderer Karl Wilhelm Diefenbach" – eine zwar den Fluß der Geschichte hemmende, aber in sich dann doch wieder reizvolle Anpassung des Leben des realen Symbolisten und Sozialreformers Diefenbach an Kepplers AndersWelt. Selbst ein gewisser Andreas Warhold, der in Wien mit seiner "Fabrik" die Kunstszene revolutioniert oder ein im Abflugbereich des "Lufthafens" von Triest herum krakeelender Kunstmaler namens Adolf Hiedler haben ihren Auftritt und das überraschende Ende des Romans wird von einer Vertreterin der kommunistischen "Eurasischen Volksunion" bestimmt. Vielleicht wollte Keppler in seinem Erstling ein wenig zu viel von seiner Sicht der Welt in eine GeschichtsParabel packen, aber auch und gerade das so intensive wie geschickte und ebenso konsequente wie lockere Einflechten von erfundenen und echten "Austria-zismen" (von "Sackerlzögling", wie auch ich ab sofort zu Kängurus sagen werde, bis "Stanitzel" für Eiswaffel) macht dieses Buch zu einem leichtfüßig-aufregenden LeseAbenteuer, dem man sogar die diversen Fehler bei der Kommasetzung verzeiht (oder ist etwa auch das "original Österreichisch"?).Weitere Infos: www.drava.at/buch/der-zweite-kontinent