Eine große Retrospektive von Marcel Broodthaers gastiert bis Mitte Juni 2017 im Düsseldorfer Ständehaus. Die am Museum of Modern Art, New York, und am Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofia, Madrid, entwickelte Ausstellung präsentiert mit über 400 Werken unterschiedlichster Medien und Gattungen seine kurze, aber höchst produktive Karriere als bildender Künstler und institutionskritischer Poet der Dinge.
Links: Frites (Fritten), 1966, Bemalte Keramikschale mit bemaltem und verkohltem Holz, Durchmesser: 24 cm, Höhe: 22 cm, The Museum of Modern Art, New YorkRechts: Maria, 1966, Kleid, Kleiderbügel, und bedruckte Einkaufstasche mit Eierschalen auf bemalter Leinwand, 112 x 100 x 12 cm, The Museum of Modern Art, New York
Marcel Broodthaers (1924 –1976) kommt mit einer umfassenden Überblicksschau zurück nach Düsseldorf, wo er von 1970 bis 1972 gelebt und etliche Arbeiten und Ausstellungen realisiert hat. Hier erfuhr er entscheidende Impulse aus der lokalen und international bestens vernetzten Kunstszene. Denn Broodthaers war ein spät berufener Künstler, der sich erst 1964 entschloss, in das Fach der bildenden Kunst zu wechseln. Davor hatte er zehn Jahre lang erfolglos als Dichter und Schriftsteller gearbeitet.
Natürlich war die Affinität zur Kunst biographisch tiefer verwurzelt. Schon als junger Mann hatte Broodthaers Kontakt mit der belgischen Surrealistenvereinigung um René Magritte und bereits 1957 fiel er mit einem Film auf, in dem die Gegenstände einer Schwitters-Collage wieder dekomponiert wurden und ihr Eigenleben zurückgewannen. Das freie Spiel mit den Dingen, indem man sie als Worte oder Symbole in neue Kontexte ordnet, ihre Bedeutung ironisch hinterfragt, ist eine thematische Konstante, die man in seinem späteren künstlerischen Werk wiederfindet.
Eines seiner ersten Werke als bildender Künstler markierte in symbolträchtiger Weise den Turnaround vom Poeten der Worte zum Poeten der Dinge: Als er 1964 seinen letzten Gedichtband „Pense Bête“ mit Gips umhüllte, wurden die Bücher unlesbar, gleichzeitig aber in eine Skulptur verwandelt, also in eine Entität mit neuer objektbezogener Bedeutung.
Marcel Broodthaers hat durch den Turnaround allerdings nie die Verbundenheit zur Sprache verloren. Er wendet sich etwa in seinen Muschelinstallationen „la moule“, der Miesmuschel zu, um über „le moule“, die Form, zu reflektieren. Tatsächlich verbinden wir ja mit der sprachlichen Bezeichnung „Muschel“ unbewusst zunächst einmal das Bild ihrer Schale und weniger ihren Inhalt. Worauf er also abzielt, ist das Verhältnis zwischen der Form natürlicher Objekte, ihrer Einschreibung durch Sprache oder kulturellen Gebrauch und einer nicht zugänglichen Eigenständigkeit als Ding.
Die andere thematische Konstante, die Broodthaers mit diesem Aspekt der metaphysischen Poetik der Dinge unmittelbar verknüpft hat, ist sein persönlicher Anspruch auf absolute Autonomie als Künstler sowie die komplette Ablehnung der Vereinnahmung und Bewertung von Kunst durch Dritte. Er negiert die Deutungshoheit von Institutionen und ökonomische Regeln des Kunstbetriebes. Dem Museumskanon setzt er einen Kunstbegriff entgegen, der nicht mehr vom Einzelwerk ausgeht, sondern prozesshaft durch die Auseinandersetzung mit dem Kontext definiert wird.
Broodthaers erfindet das imaginäre Museum, das „Musée d’Art Moderne, Département des Aigles“, in dem der Künstler selbst der Museumsdirektor ist – eine radikale Autonomieerklärung. Dieses Museumskonzept materialisierte sich in konkreten Ausstellungen, wie der legendären Schau von 1972 in der Kunsthalle Düsseldorf. Dort waren aus allen Kunst-, Kultur-, Trivial- und Naturbereichen Dinge zusammengetragen, die mit dem Adler zu tun hatten und stets die Aufschrift trugen: „dies ist kein Kunstwerk“. Jürgen Harten, der mit Broodthaers zusammen die Düsseldorfer Ausstellung realisierte, beschreibt die Bedeutung Broodthaers für die Kunst wie folgt: „Was Duchamp für das Ready-made war, wird Broodthaers für das imaginäre Museum sein“.
Die lange erwartete Retrospektive von Marcel Broodthaers führt in ein faszinierendes Werk ein, das mit seinem Verständnis von Kunst als poetische "Störung von Weltordnung“ und für eine radikal offene und prozessuale Lesart von Kunst plädiert und damit maßgeblich zu einem bis heute gültigen Verständnis von Kunst beigetragen hat. Till Barz
Marcel Broodthaers. Eine Retrospektive (04.03. – 11.06.2017) K21 Ständehaus, Ständehausstr. 1 Di - Fr 10-18 Uhr, Sa, So, Feiertage 11 - 18 Uhr Altweiberfastnacht 23.02. geschlossen Tel +49 (0)211 83 81-204 www.kunstsammlung.de