Imagination und Realität treffen sich im Spiegel. In der von Gregor Jansen kuratierten Ausstellung werden sie als notwendig miteinander verknüpfte Aspekte unserer Selbstschau und Erkenntnis präsentiert. Die versammelten Werke von Lili Dujourie, Isa Genzken, Astrid Klein, Mischa Kuball, Aron Mehzion, Reinhard Mucha, Sturtevant, Rosemarie Trockel und Gerhard Richter sind dem Phänomen der Spiegelung in seiner vielfältigen Bedeutung auf der Spur. Als Spekulationen im wahrsten Sinne des Wortes weisen sie über den realen Raum hinaus.
Links: Isa Genzken, Fenster, Venloer Straße 21, 1988, Cologne, Galerie Daniel Buchholz, realisiert/nicht installiert Modell, 2015, Maßstab 1:50, Plastik, Acrylfarbe, Metall, Acrylglas, Holz, 176 x 50 x 50 cm, © VG Bild-Kunst, Bonn 2016Rechts: Reinhard Mucha, Werden, 2016, Glashalter, Floatglas, Alkydharzlackfarbe rückseitig auf Glas gemalt, Aluminiumprofile, Zinkblechwanne verzinktes Stahlblech, Massivholz (Fundstück), Glasspiegel, Multiplex-Sperrholz, 78,6 x 126 x 23,8 cm, ©Reinhard Mucha / VG Bild-Kunst, Bonn 2016
Gerhard Richters „Spiegel“ aus dem Jahr 1981 diente als Referenzwerk für die Konzeption der Düsseldorfer Ausstellung. Tatsächlich ist es ein Spiegel, und wenn man vor dem Werk steht, spiegelt man sich in ihm. Der Spiegel holt uns ins Bild. Wir sehen im Spiegel hinter uns, in eine spiegelverkehrte Welt. Der Spiegel reflektiert unsere Subjektivität im doppelten Sinn. Einerseits erfahren wir uns vor ihm stehend als Gegenstand der (Selbst-)Erkenntnis, andererseits zeigt uns der Spiegel als Verdoppelung in der seitenverkehrten Welt. Eine gleichzeitig verunsichernde wie auch inspirierende Erfahrung. Eine Erfahrung zwischen Narzissmus und Zweifel.
Im Titel der Ausstellung taucht der Spiegel qua Referenz wieder auf: „Schaf und Ruder“ heißt das fünfte Kapitel in Lewis Carrolls „Alice hinter den Spiegeln“. Alice, die Heldin seiner Erzählung, fragt sich, wie wohl die Welt auf der anderen Seite des Spiegels aussieht. Dort angekommen, entdeckt sie ein mysteriöses Paralleluniversum, in der die Dinge und die Logik ihrer vertrauten Welt seltsam gespiegelt oder gar auf den Kopf gestellt sind. Ihre fantastische Reise ist ein mentaler Spagat zwischen Realität und Spiegelwelt. Es ist eine Herausforderung, die „zu einem Gleichgewichtsverlust führt, der das Denken immer vorantreibt“, wie es Elaine Sturtevant formuliert hat.
Die US-amerikanische Künstlerin Elaine Sturtevant hat mit ihren Werken selbst eine solche Spiegelwelt geschaffen, indem sie das Konzept der künstlerischen Originalität auf den Kopf stellte. Statt Originalwerke herzustellen, begann sie zu Beginn der 60er Jahre Werke zeitgenössischer Künstler zu kopieren. In dieser Verdopplung verwandelt sich das Original in ein reflektiertes Objekt, das als solches einer radikalen Neubefragung zugänglich wird. Neben der ästhetischen Fragestellung, welche Werte das Kunstwerk ausmachen, kommen auch phänomenologische Aspekte zum Tragen: wie wird die menschliche Wahrnehmung durch Kontexte beeinflusst oder verändert? Wie positionieren wir uns als Menschen zwischen Realität und Imagination?
Heute reisen wir wie selbstverständlich durch digitale Erfahrungsräume. Diese sind aber gerade dadurch charakterisiert, dass es in ihnen keine Originale mehr gibt. Stattdessen existieren nur noch flüchtige Kopien – eine unkontrollierbare Bilderflut und ständige Reproduktion von Reproduktionen. Diese neue Spiegelwelt ist ein gigantisches Bilder-Multiversum, das sich in den Alltag einschleicht und damit zunehmend die Grenzen zwischen Realität und Imagination verwischt. Alice besteht ihre Abenteuer im Spiegelland, weil sie trotz aller Wirrungen sich selbst findet. Dem heutigen Mensch scheint diese Aufgabe unmöglich gemacht zu sein. Durch soziale Medien und Computer erlebt er eine zunehmende Entfremdung, die ganz unmittelbar in sein Leben und Fähigkeit zur Selbsterkenntnis eingreift.
Das Spiegelbild des Menschen hat Risse bekommen, so wie in dem Werk „Portret“ der belgischen Künstlerin Lili Dujourie. Bei Astrid Klein sind es Einschüsse in den Spiegel, die den Verdruss über unser Unvermögen der Bildfindung im Sinne einer verbindlichen Erkenntnis dokumentieren. Die Erkenntnis entzieht sich dem psychologischen Begehren der Bildfindung hinter dem Sichtbaren. Rosemarie Trockel präsentiert uns in diesem Zusammenhang zwei Wunschmaschinen, die unser Verlangen nach Erkenntnis präsentieren, und entlarvt zugleich die Unmöglichkeit diese Erkenntnis zu erlangen.
Die Ausstellung in der Kunsthalle Düsseldorf präsentiert eine spannende räumliche Versuchsanordnung vielschichtiger Darstellungsebenen. Von Mischa Kuballs Lichtprojektion „platon‘s spiegel“, über Reinhard Muchas Raumsituation oder Isa Genzkens Spiegelung des „Großen Fensters“, bis hin zu Aron Mehzios Tischinstallationen ergeben sich immer neue Möglichkeiten, wie Spiegel als Ausgangspunkt für zentrale Fragestellungen und Zustandsbeschreibungen der Gesellschaft und der in ihr lebenden Menschen fungieren.
Schaf und Ruder / Wool and Water (-27.11.2016) Kunsthalle Düsseldorf Grabbeplatz 4, 40213 Düsseldorf Di - So, Feiertage: 11 - 18 Uhr www.kunsthalle-duesseldorf.de