"Ein Fest für die Augen" solle sie sein, hat Bernard Schultze einmal von seiner Kunst gefordert. Ja, die Malereien, Zeichnungen und Skulpturen des Künstlers sind tatsächlich Einladungen zu ausgedehnten visuellen Spaziergängen - allerdings solchen, die vor allem durch unbekanntes Gelände führen und auch zu Ansichten führen, die so gar nichts von Postkartenmotiven haben.
Abb. rechts: Windgestalten im Frühling, 1994, Foto: Friedrich RosenstielAbb. links: Zungen-Collage, 1962, Foto: Friedrich Rosenstiel, © VG Bild-Kunst, Bonn 2015
Hereinspaziert in die genauso lockende wie verunsichernde Welt der Farben und Formen des Bernard Schultze. Am 31. Mai wäre der Künstler hundert Jahre alt geworden. Grund genug für drei renommierte Häuser im Rheinland, an den 2005 Gestorbenen zu erinnern. Die Museen Kunstpalast und Ludwig in Düsseldorf und Köln sowie das Arp-Museum im Bahnhof Rolandseck in Remagen dokumentieren das umfangreiche Werk von den Anfängen bis in die letzten, immer noch kreativen Jahre.
Schultze, ist das nicht der Erfinder der "Migofs"? Richtig, diesen Fantasiewesen, die aus urzeitlichen Abgründen aufgetaucht zu sein scheinen und sich auch, ganz formgewordener Alptraum, in einer Geisterbahn gut machen würden. Schon in den 50er-Jahren verstand der Maler die Leinwand nicht länger als Fläche, sondern als Raum. Materialien wie Holz, Stroh oder Nägel wurden geklebt und mit Farbe übergossen. Es entstanden Reliefs, deren Ausstülpungen immer mehr in den Raum drängten und schließlich zu eigenständigen Figurationen geworden sind.
Die mehrteilige Arbeit "Moonen", die bislang nur im Entstehungsjahr 1961 gezeigt worden ist, kann nun in Rolandseck bestaunt werden. Sie verdeutlicht diesen Prozess. In dem an der Wand lehnenden, mit hellen Farben bemalten Bild fällt ein tiefer Riss auf, der wie eine klaffende Wunde den Blick bannt. Linien weisen von dort an die Ränder, an denen es heftig zu wuchern und wachsen scheint. Über den Boden und an der Wand schlängeln und räkeln sich die tentakelhaft ausgreifenden "Mi-gofs", diese aus beklebtem Drahtgeflecht bestehenden Getüme, denen auch ihre Vergänglichkeit schon eingeschrieben ist.
Die Welt des Bernard Schultze ist abstrakt und assoziativ. Begonnen hatte der in der Provinz Posen geborene Künstler, der von 1968 an in Köln zuhause war, als gegenständlicher Maler. Doch in den Flammen des Zweiten Weltkriegs verbrannte nicht nur sein Frühwerk. Schultze verarbeitete zeitlebens auch seine Kriegserfahrungen als Soldat. Den Neubeginn markierte 1952 die Gründung der Künstlergruppe Quadriga in Frankfurt (u.a. mit K.O. Götz), die sich angeregt durch Entwicklungen in Paris der informellen Malerei verschrieb. Realistische Figuration und geometrische Abstraktion wurden abgelehnt, statt dessen überließ man sich dem intuitiven Schaffensprozess.
Surrealist André Breton stand Pate mit seinem Postulat, Kunst müsse ohne jede Kontrolle durch die Vernunft entstehen. Schultze, der schnell zu den international bedeutendsten deutschen Künstlern zählte, sprach vom "Diktat des Unbewussten" und nannte seine künstlerische Herangehensweise einen "inneren Monolog im Elfenbeinturm". Seine Werke strebten kein Ziel an, sondern wollten aus den Tiefen der Seele schöpfen. Sie waren Exkursionen mit ungewissem Ausgang - für den Künstler wie für den Betrachter. Damit erklärt sich auch die bis heute ungebrochene Aktualität.
Wenn man sich auf den Weg durch die "Erzähl- und Märchenbilder" (Schultze) begibt, kann es zu ganz unterschiedlichen Begegnungen kommen. Man könnte sich in dem Farbenrausch, der an den Barock erinnert, verlieren, könnte auf Hieronymus Bosch treffen, auf James Ensor oder Alfred Kubin, auf Pollock oder Twombly. Oder man könnte von seinen eigenen Ängsten und Sehnsüchten gepackt werden. Schultzes mal heiter-harmonische, mal düster-grausige, immer aber dynamisch tosende Farblabyrinthe lassen niemanden unberührt. Bevor die Nachkriegskunst im Magazin verschwindet - hingehen.
Schultze-Ausstellungen zum 100. Geburtstag: Düsseldorf, Museum Kunstpalast, (-30.08.)www.smkp.de Köln, Museum Ludwig (-22.11.)www.museum-ludwig.de Arp-Museum im Bahnhof Rolandseck, Remagen (-01.05.2016) www.arpmuseum.org In Düsseldorf ist eine Ausstellungsbroschüre erhältlich (6,00 Euro). Zur Ausstellung in Rolandseck ist ein Katalog erschienen (29,00 Euro). Außerdem wurde das dreibändige Werkverzeichnis (348,00 Euro) veröffentlicht. Beide Publikationen sind im Hirmer Verlag aufgelegt worden.