1915 veröffentlichte Franz Kafka die kurze, in ihrer Dichte und Konstanz beeindruckende Parabel „Vor dem Gesetz“, in dem ein vom Lande stammender Mann versucht, Eintritt in das Gesetz, das von einem Türsteher bewacht wird, zu erlangen. Alle seine Versuche sind vergeblich, das Ausharren vor der Türe, die Bestechungsversuche zugunsten des Türstehers, nichts ist erfolgversprechend. Kurz bevor der Landmann schließlich vor der Türe des Gesetzes stirbt, fragt er den Türsteher, warum niemand sonst außer ihm den Zutritt zum Gesetz verlangt hat. Weil der Eingang nur für ihn bestimmt sei, antwortet der Türsteher.
„Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich“, postuliert Artikel 3 des Grundgesetzes als demokratisches Grundprinzip. Auf dieser zentralen Aussage basiert die Ausstellung „Vor dem Gesetz“ im Museum Ludwig in Köln, die Fragen nach der menschlichen Existenz, nach menschlich und unmenschlich, nach Menschenwürde und Menschenrecht mit den Mitteln und Möglichkeiten der Kunst zu beantworten sucht. Der Mensch als politisches Wesen, als freies Individuum, existentiell Handelnder sieht sich in aktuellen Werken von Jimmie Durham und Bruce Nauman und in den Arbeiten des Existenzialismus der fünfziger Jahre von Ossip Zadkine oder Germaine Richter als Untersuchungsobjekt in den Fokus der Kunst gezogen.Die menschliche Würde als Skulptur, die in raumgreifenden Beiträgen in Arbeiten der 1950er Jahre, die den argumentativen Kern der Ausstellung bilden, und in Werken der Zeit dargestellt wird, steht im Blickpunkt der Geschehnisse in der europäischen Nachkriegszeit und äußert sich als Nachbetrachtung einer jeden kriegerischen Auseinandersetzung. Schrecken und Sprachlosigkeit verbünden sich, das Gesetz – als Ausweg aus den Wirrungen und Verirrungen - wird Zufluchtsort. Diese zerrissenen Verhältnisse zeigt in drastischer, sehr anschaulicherweise die Arbeit „Le Griffu“ von Germaine Richter von 1952: Eine dünne, gebeugte Figur kämpft – symbolisch – mit um Hände und Füße geschlungene Fäden und sucht einen Ausweg. „La Jambe“ von Alberto Giacometti lässt nur noch ein dünnes Bein mit Fuß übrig, der Rest scheint sich – außerhalb des Gesetzes womöglich – verborgen zu haben. „Sitzender Jüngling“ von Wilhelm Lehmbruck (1916/17) deutet eine resignierte Haltung an, die als Illustration von Kafkas Text das Thema in unübersehbarer Klarheit kommentiert. Auf exemplarische Weise begegnen sich Thomas Schüttes „Vater Staat“, eine Skulptur ohne Arme aus dem Jahr 2011, und „Tree“ von Zoe Leonard (1997/2011). Andreas Siekmann zeigt mit „Dante und Vergil gehen durch die Welt“ (2011) die Rechtlosigkeit anonymer Armutsflüchtlinge, denen der Eintritt ins Gesetz verwehrt bleibt.
Weitere Künstler: Pawel Althamer, Carl Andre, Phyllida Barlow, Joseph Beuys, Karla Black, Monica Bonvicini, Reg Butler, Paul Chan, Fritz Cremer, Jimmie Durham, Katharina Fritsch, Candida Höfer, William Kentridge, Marko Lehanka, Giacomo Manzù, Gerhard Marcks, Marino Marini, Henry Moore, Ulrich Rückriem, George Segal, Andreas Slominski und Ossip ZadkineVor Dem Gesetz (-22.04.2012) Museum Ludwig, Heinrich-Böll-Platz, 50667 Köln. Tel.: 0221-22126165 E-Mail: info@museum-ludwig.de Geöffnet: di – so & Feiertage 10 – 18 Uhr, jeden 1. Do im Monat 10 – 22 Uhr vom 16. - 21.02.2012 wegen Karneval geschlossen Eintritt: 10/7 Euro
Weitere Infos: www.museum-ludwig.de