Die Schrecken des Krieges, wie wir ihn von den Bildern Goyas oder vom Monumentalgemälde „ Guernica“ von Pablo Picasso kennen, sind seit den Zeiten dieser Maler nicht weniger geworden. Aus künstlerischer Sicht stellen sie sich heute jedoch anders dar und nutzen eher – wie in Aernout Miks Video „Raw Footage“ - friedfertig wirkende Bilder. Miks Arbeiten zeigen nicht mehr die zerfetzten Körper, zerstörten Häuser und in Gefangenschaft dahin vegetierenden Soldaten, sie vermitteln verstörende Bilder vom Zustand, der zwischen Kampfhandlungen und Bomberangriffen auf die Menschen einwirkt. Aernout Mik entwickelte die Präsentationsform im Museum Folkwang selbst, die als zusammenhängender Parcours einen besonderen Zugang zu seinen Werken – hier sind es zehn zwischen 1998 und 2011 geschaffene – ermöglicht. Filmraum und realer Raum des Betrachters treffen zusammen, was der Künstler als zentrales Anliegen seiner Installation erreichen wollte.
Extremsituationen, Gewalt und Aggression, die Aernout Mik (*1962, Groningen) konsequent sucht und in seinen Videoarbeiten umsetzt, reflektieren nicht nur die Wirklichkeit, sie scheinen auch neue Wirklichkeiten zu erschaffen. Für „Raw Footage“ benutzte der Videokünstler „echtes“ Filmmaterial von Nachrichtenagenturen wie Reuters und Independent Television News (ITN), das in den Abendnachrichten nicht gesendet wurde, weil es nicht dramatisch genug war. Es zeigt den Kriegsalltag im ehemaligen Jugoslawien in seiner komplexen Irrationalität, die gleichzeitig das reale Leben der Menschen spiegelt: Kinder mit Spielzeugwaffen, vor Heckenschützen fliehende Menschen, drangsalierte Gefangene.Apokalyptische Szenen, die – so profan und so selbstverständlich sich das anhört – nur das zeigen, was uns in der Realität nahezu tagtäglich begegnet, diese apokalyptischen Szenen nagen am rationalen (Kunst)Verstand des Betrachters: Ist das schon Kunst, ist das noch inszeniert, ist das nicht doch real, ist das nicht doch das Dokument einer Katastrophe, eines Unfalls, einer gewaltsam endenden Versammlung? „Refraction“ (2004) macht deutlich, in welcher unmittelbaren Realität die surrealen Inszenierungen des Aernout Mik ablaufen, wie sie sich zeitlupenhaft in die Erinnerungskanäle der Zuschauer hinein drängen, was sie mit den schon vorhandenen Bildern im Kopf machen, welche Rückschlüsse sie den Betrachter ziehen lassen, der – auf den ersten Blick – mit einem Ereignis konfrontiert wird, das nicht nur die Rettungsarbeiten nach einen Busunfall zeigt sondern auch das Unwirkliche, das Phantomhafte darstellt: Eine Herde Schafe überquert genau an der Stelle die Autobahn, wo das umgestürzte Fahrzeug liegt und Helfer und Schaulustige mit Aufräumarbeiten beschäftigt sind. Das Arrangement wirkt vollkommen echt, ist aber, wie die meisten Arbeiten Miks, nach einem Drehbuch inszeniert: ein Stummfilm, ohne Klänge, Geräusch und Sprache.
Die ohne Ton gedrehten Videofilme „sind inszenierte Arbeiten, sind Bilder im Raum, die in einer anderen, einer eigenen Realität bleiben und die es trotzdem dem Betrachter ermöglichen, sich seinerseits in einer anderen Realität aufzuhalten,“ sagt Aernout Mik über die im Kultur- und Wissenschaftspalast in Warschau gedrehte Arbeit „Communitas“. Im „Stalintorte“ genannten höchsten Gebäude Polens führen polnische Staatsbürger und vietnamesische Migranten leidenschaftliche Debatten, halten Vorträge, diskutieren und streiten – sie leben bereits Demokratie, während in Hinterzimmern noch um Kompromisse gerungen wird. Es ist die Parallelität der Ereignisse, die Miks Videos aus einer bloßen Videoclip-Realität herausheben: Der Betrachter dringt in die Szenerie ein, ohne ihr beizuwohnen, wird jedoch durch seine Anwesenheit vor dem Bildschirm zum integrierten Teilnehmer. In allen Arbeiten ist der Mensch als soziales Wesen vorhanden, im Kontext der Stummfilmästhetik konfrontiert Mik die Zuschauer mit Bildern, die sie aus der realen Welt des Fernsehens kennen, wo von den Krisenherden der Welt die Rede ist, wo Menschen sich erheben gegen Unterdrückung und Armut, wo Menschen fliehen, weil sie anderswo immer noch besseres finden als Daheim. Das eigens für die Ausstellung in Auftrag gegebene Werk „Shifting Sitting“ (2011) entstand in Italien und beschäftigt sich mit politisch-skandalösen Inszenierungen, die in einem Gerichtssaal durch die Berlusconi-ähnliche Person eine sehr aktuelle Ausrichtung erhält. Die teils tumultartigen Szenen zeigen eine Nachahmung oder wiederholte reale Situation, die so einer wiedererkennbar dokumentierten „Aufführung“ entsprechen könnte. Das Tribunal ist kein Manifest, es deutet nur Strömungen an, die richtungslos sind, aus denen aber etwas entstehen könnte. Auch hier: ein Film ohne Ton, die Personen sprechen zwar, sie agieren aber ohne Skript. Die fiktive Situation scheint plötzlich real zu werden, denn die Personen versetzen sich ganz konkret in die nachgeahmte Wiederholung möglicher Tatsachenbilder.
Die Ausstellung kooperiert mit dem Jeu de Paume (Paris) und dem Stedelijk Museum (Amsterdam) und stellt in Deutschland kaum oder nie gezeigte Videoinstallationen vor. Aernout Miks Arbeiten verweisen auf aktuelle politische oder soziale Umstände und thematisieren Krisen der Globalisierung, Kriege, Migration, Vertreibung, Rassismus und gesellschaftliche Spannungen. Die aufwendige Installation „Organic Escalator“ (2000) bewegt sich in bewegter Architektur. Die organisch sehr dichte Aufnahme verdichtet sich zur Dramatik des Zusammenbruchs und der Bewegungslosigkeit, die durch „loops“ den Bildvordergrund exemplarisch in den Fokus setzen, während der tunnelartige Raum innerhalb des Museumsraums durch seine Beweglichkeit die Momente einer Kamerafahrt simulieren. Fast unmerkbar bewegt sich der Zuschauer nach vorne und zurück, obwohl er seinen Standort nicht verlässt.
Im Rahmen der Ausstellung findet am 24. Januar 2012 das eintägige Symposium „Communitas, Commune, Communismus“ in Kooperation mit dem Kulturwissenschaftlichen Institut Essen statt (näheres ab Januar auf der Museumshomepage).Bis 29.01.2012 Museum Folkwang, Museumsplatz 1, 45128 Essen Tel.: 0201-8845444 Geöffnet: di - so 10 -18 Uhr, fr 10 – 22.30 Uhr, Heiligabend, Silvester geschlossen Eintritt: 5/3 Euro, Familienkarte 10,50 Euro Katalog: 32 Euro im Museum Folkwang (Steidl Verlag)
Weitere Infos: www.museum-folkwang.de