Der Schuldige heißt Georg Meistermann, damals selbst Künstler und Vorsitzender des Deutschen Künstlerbundes. Was hat er getan? Vor vierzig Jahren, als Willy Brandt Kanzler einer sozial-liberalen Koalition war, überzeugte er den Regierungschef davon, dass die Bundesrepublik Deutschland zeitgenössische Kunst sammeln sollte. Zum Zwecke des Bekenntnisses zur Kunst und deren Förderung als nationale Aufgabe. 1970 bereits setzte Brandt den Vorschlag um, 1971 stellte der damalige Bundesinnenminister Hans-Dietrich Genscher 250.000 DM für den Ankauf von Kunst bereit. Zwanzig Ankaufskommissionen haben seit dem etwa zwölfhundert Exponate mit einem heutigen Sammlerwert von geschätzten zwanzig Millionen Euro erworben.
„Einzige Vorgabe ist es, beim Ankauf vorrangig Werke zu berücksichtigen, die für die aktuelle zeitgenössischen Kunst in Deutschland repräsentativ sind und die weitere Entwicklung der Sammlung sicher stellen.“ (Rosa Schmitt-Neubauer im Katalog) Dabei ist in den erworbenen Arbeiten das Thema Deutschland in den letzten Jahren ein herausragendes geworden und spiegelt sich in Arbeiten von Jörg Immendorff, Georg Herold, Katharina Sieverding und anderen wieder. Auf bevorzugte Medien wird verzichtet, Malerei, Zeichnung und Skulptur, Video und Fotografie bilden gleichwertige Säulen, auf denen die Kunst wie ein Spiegel der Zeit sich dreht, aufrichtet, verbeugt. Und provoziert.Einen eigenen Ort zur Präsentation der Sammlung besitzt die Bundesrepublik nicht. Daher sind Exponate ausschließlich zu besichtigen, wenn sie auf Wanderschaft gehen. Wie das 2007 in Brüssel der Fall war, als die Ausstellung in etwas geringerem Umfang anlässlich der deutschen EU-Ratspräsidentschaft dort zu sehen war. In der Bundeskunsthalle sind nun für einen begrenzten Zeitraum nicht nur alle Besucher auf Besuch, auch die Ausstellung selbst interpretiert sich ausdrücklich in einer Gastrolle. Wie der Onkel aus dem Badischen oder die Oma aus Berlin. Anders als vielleicht beim Bekanntenbesuch sind die Bonn-Besucher sehr willkommen, setzen sie doch überwiegend aus sehr populären, wichtigen und bedeutenden Künstlern deutscher Zunge zusammen. Das mag Zufall sein, fest steht jedoch: Die Qualität der in vierzig Jahren erworbenen Sammlungsstücke ist über jeden eventuell erscheinenden international minderen Verdacht erhaben.
Die Ausstellung setzt sich aus drei thematischen Schwerpunkten zusammen: Existenz – Raum – Geschichte. Insgesamt verteilen sich etwa sechzig Exponate auf diese drei Eckpfeiler.
„Existenz“ untersucht das menschliche Subjekt als historisches, soziales, psychologisches und politisches Wesen, dargestellt durch Werke von Martin Kippenberger („Pop it out“ von 1995), Wolfgang Tilmans (mit Fotografien aus der Londoner U-Bahn von 2000) oder Rebecca Horn (mit den Objekten „Erika“ von 1992 und „Paradieswitwe“ von 1975).
Architektonisch als auch geistig-sphärisch stellt sich der „Raum“ in Arbeiten von Thomas Schütte, Thomas Struth und Heide Specker dar. Bevor Gregor Schneider jüngst auf die Idee kam, einen Sterbenden als Kunstwerk auszustellen, schuf er mit der umfassenden Rauminszenierung „Totes Haus u r“ als deutschen Biennale-Beitrag in Venedig 2001 eine monumentale, rätselhafte Situation mit realen Räumen. In Bonn zeigt er dazu fünfzig Farbfotografien, die einen Eindruck von der Klaustrophobie und Verschlossenheit derartig un“heim“licher Darstellungen vermitteln.
Wo letztlich alle Bewegungsformen jeder Existenz im Raum sich wiederfinden, erinnert die „Geschichte“ (als drittes Ausstellungsthema) in politischer wie persönlicher Hinsicht an Fakten und interpretiert sich selbst als Museum des Gewesenen. Das trifft genauso auf Joseph Beuys zu, von dem ein Diagramm aus einem Vortrag der „Organisation für direkte Demokratie“ in Bonn 1973 gezeigt wird, wie auf Georg Herold, der „Deutschland in den Grenzen von 1937“ mittels Dachlatten darstellt und bewusst darauf hindeutet, dass „traditionelle Materialien wie Öl, Marmor, Bronze [sind] in der propagandistischen Kunstindustrie des ‚Dritten Reiches’ nachhaltig desavouiert worden“ sind (Katalog).
Da eine schnurgerade, scharf gezeichnete Trennung der drei Themen unmöglich ist, überschneiden sie sich nicht nur durch konkrete Ereignisse und historische Fakten, sondern auch durch kollektive Sehgewohnheiten und gesellschaftliche Maßstäbe.
Von Georg Meistermann übrigens ist nichts ausgestellt.
bis 17.08.2008 Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Friedrich-Ebert-Allee 4, 53113 Bonn Öffnungszeiten: di-mi 10-21, do-so 10-19 Uhr, montags geschlossen Eintritt: 8/5 Euro, Familienkarte 11 Euro Katalog: 19 Euro
Weitere Infos: www.bundeskunsthalle.de