Wenn der bequeme, alternde Europäer an Alaska denkt, fliegen nicht viel mehr als eine Airline und ein Seelachs an seinem begrenzten Horizont entlang. Aber was ist eigentlich mit den musikalischen Überfliegern und Köstlichkeiten aus dem genannten Tundragebiet? Totale Fehlanzeige? Vielleicht ja, weil es dort auch tatsächlich keine Band lange hält, die gut ist und zudem noch weitermachen will. So wie Portugal. The Man eben, die damals für ihr Debüt aus Alaska geflüchtet sind und sich nun für ihre neues Album komplett über den Haufen geworfen haben. Sänger und Gitarrist John Baldwin Gourley erklärt aber, warum Alaska so wichtig für „Church Mouth“ und ihn persönlich war.
Welche Band in Alaska derzeit die Charts anführt, in den dortigen Diskotheken zum Abtanzen einlädt oder von den ansässigen Radiostationen hoch und runter gedudelt wird? Man weiß es nicht. Mit Verlaub: gibt es dort überhaupt Charts, Diskotheken und Radios?„In Alaska eine Band zu sein, ist das Gegenteil von Produktivsein“, beschreibt John die karge Musiklandschaft seiner Heimat und wirft hinterher: „Natürlich geht da rein gar nichts.“
Deshalb ist John, einer der schnurrbärtigen Sympathen von Portugal. The Man, damals auch gen Portland gezogen, um dort deren überwältigendes Debütwerk „Waiter: You Vultures!“ zu schmieden. Das bequeme, alternde Ohr des Europäers war ganz schön baff, als sich dieses wuchtig-filigrane, in allen Genres herumwuselnde Albummonster vor ihm aufbaute und ihm eigenwillig und frech in die Fresse schlug. Erstaunt waren aber auch die Jungs von Portugal. The Man, als sie hier auf europäisches Musikfestland stießen, was als ein schockierendes, fatales Unterfangen in ihre Geschichte eingegangen ist:
„Es war der Horror, als wir letzten Herbst hier in Deutschland aufschlugen. Wir hatten ein 25 Minuten langes Liveset, was für uns damals eigentlich eine normale Länge darstellte. Nun sollten wir aber von einer Sekunde auf die nächste eineinhalb Stunden spielen! Das wussten wir nicht – und viel schlimmer: das konnten wir schlicht und einfach nicht.“
Notgedrungen wurde umdisponiert und gelernt, spontan, natürlich und ausgelassen Musik zu machen. Es musste live on stage erprobt werden, die Dinge laufen und fließen zu lassen und genau „dieses Erlebnis macht wahrscheinlich den größten Unterschied zwischen dem neuen Album und seinem Vorgänger aus.“ Denn es war der beschriebene Schock, der zu dem Mut führte, das Bestehende ad acta zu legen. Das 25-minütige Programm wurde gestreckt und im Zuge dessen dann entdeckt, dass darin eine ganz neue Qualität stecken kann: Da ist auf einmal Groove, da ist Space, das ist ein riesiger, spontan zu füllender Freiraum für alles und jeden!
Das klingt natürlich erstmal erschreckend nach Hippie-Gejamme und Conga-Kreis-Getrommel. Aber nein, Portugal. The Man sind nicht hängen geblieben, sondern haben sich getrennt. Weg mit der Drummachine, dem Sequencer und dem Programmierten, um die wesentlichen Dinge mal an ihren Wurzeln zu packen und kräftig durcheinander zu würfeln. Denn: Nur so kann man sich komplett und rigoros über den Haufen werfen. „Church Mouth“ heißt dieser neue Wurf und ist ein organisches Bandalbum, das zurückschaut, aber dabei stets vorausgreift.
„Ich denke oft darüber nach, was passiert wäre, wenn ich nicht in Alaska aufgewachsen wäre. Ich bin dort sehr abgeschirmt und isoliert aufgewachsen. Kein Fernseher und keine aktuelle Musik. Wir hatten nur ein Radio, das ich immer gemeinsam mit meinen Eltern gehört habe. Und da lief dann eben dieses alte Zeug.“
Gemeint sind: The Beatles, Led Zeppelin und Muddy Waters. Und was hat dieses Radioprogramm aus dem Jungen gemacht? Nun, er hat sich mit seiner Band Portugal. The Man aus dem Staub gemacht und sich für den Augenblick des zweiten Albums irgendwo zwischen altmodischem Retro-Kram und einer eigenwilligen Prog-Rock-Blues-Indie-Melange niedergelassen. Dort zerlegen und zertrümmern, erneuern und erbauen sie wie ein Rockmonster. Dabei vergessen sie aber nie, dass sie sich einer Sache verschrieben haben: dem Pop, wenn auch in seiner progressiven Variante. John nickt und sagt grinsend:
„Ich bin sehr glücklich, dass das alles so in Alaska für mich begonnen hat, mit diesem kleinen Radio und all dem alten Zeug.“
Wir auch.
Aktuelles Album: Church Mouth (Defiance / Cargo)
Foto: Makenna Combs