Auf ihrem akribisch ausgefuchsten Debütalbum ´Useless Coordinates´ für das geschmackssichere Label Captured Tracks triumphierten Drahla mit einem vom ersten Ton an elektrisierenden Sound aus rasiermesserscharfer Kontrolle und kaum zu bändigendem Chaos, mit dem die aus Leeds stammende Band den DIY-Geist der New Yorker No-Wave-Bewegung in die Jetztzeit katapultierte. Fünf Jahre, eine lähmende Pandemie und einschneidende persönliche Rückschläge später begeistern Drahla auch auf ihrem just veröffentlichten famosen zweiten Album namens ´angeltape´ mit bedingungsloser Kompromisslosigkeit, herausfordernder Komplexität und einer sagenhaft druckvollen Performance, die durch atemlose Intensität und oft wohlige Düsterkeit mitreißt. Im Mai ist die Band nun für gleich sieben Konzerte in Deutschland zu Gast.
Wie schon bei Sonic Youth, Television, James Chance, Gang Of Four oder Wire vor ihnen, sind auch bei Drahla die Grenzen zwischen Musik und Kunst fließend. Mit experimentellen Videoclips, exklusiven Tape-Veröffentlichungen und aufwendig selbst gestalteten Covern ihrer Singles ließ die Band schon seit frühesten Tagen keinen Zweifel daran, dass sich ihr künstlerischer Anspruch nicht allein auf das Musikmachen beschränkt und Maler wie Cy Twombly, David Hockney und Jean-Michel Basquiat genauso zu ihren Einflüssen zählen wie all die Acts, die in ihren Songs anklingen."Ich würde mich definitiv eher als Künstlerin denn als Musikerin bezeichnen", erklärt Sängerin und Gitarristin Luciel Brown beim Videochat mit der WESTZEIT. "Wir sind nicht unbedingt daran interessiert zu wissen, welche Akkorde wir spielen, es geht mehr darum, uns auszudrücken. Ich denke allerdings, dass wir uns bei der neuen Platte viel mehr auf die Musik konzentriert haben, während es bei der letzten Platte 50:50 zwischen Musik und Kunst war. Die Musik stand dieses Mal am Anfang, und die künstlerische Seite ist dann irgendwie gefolgt. Ich denke, dass wir die Musik vollenden mussten, um herauszufinden, wohin wir uns visuell bewegen wollen. Die Musik hat definitiv die komplette Ästhetik der Platte beeinflusst."
Mit der gleichen bisweilen geradezu avantgardistischen Freigeistigkeit, mit der sie sich verschiedene Medien zu eigen machen, gehen Brown, Bassist Rob Riggs, Drummer Michael Ainsley, der neu hinzugestoßene Gitarrist Ewan Barr und der nur im Studio aktive Chris Duffin am Saxofon auch auf ´angeltape´ zu Werke, wenn sie unterstützt von Matt Benn und Jamie Lockhart, die das Album aufgenommen haben, mit bemerkenswerter Leichtigkeit die elektrisierende Energie ihrer Live-Konzerte auch im Studio einfangen. Weil hier und da nun ein Hauch von Funk rohe Distortion-Wucht ersetzt, erstrahlt auch Browns Sprechgesang, mit dem sie auch weiterhin auf den Spuren von Kim Gordon unterwegs zu sein scheint, in einem neuen Licht. Schon zuvor war Browns "female touch" im betont maskulin anmutenden Klangkomos der Band der heimliche Trumpf und ein außergewöhnlicher Kontrapunkt gewesen, jetzt allerdings scheint er mehr denn je integraler Bestandteil des Sounds zu sein. Dabei haben sich die Inhalte ihrer Texte gewandelt, nicht aber ihre Herangehensweise an das Schreiben.
"Ich schreibe, ohne dabei an Songs zu denken", verrät sie. "Ich schreibe einfache Geschichten, Gedichte, Notizen oder Erinnerungen nieder, und später schaue ich sie mir an und suche nach zündenden Ideen, die ich dann ausarbeiten kann. Viel von dem, was ich schreibe, hat mehrere Bedeutungen. Ich benutze gerne Metaphern, denn ich mag es nicht, wenn die Dinge zu direkt sind. Das ist eine Art Selbstschutz, weil die Inhalte so persönlich sind."
Persönlich sind die Texte nicht zuletzt deshalb, weil Brown vor vier Jahren plötzlich ihren Vater verlor und ihre Welt lange stillstand. Lange war sie nicht sicher, ob sie überhaupt weiter Teil von Drahla sein wollte. Die Verarbeitung des unerwarteten Verlusts ist ein großer Teil des Albums und sein emotionaler Anker.
War die Band in der Vergangenheit sehr geschickt darin, ihre Songs mit so vielen verschiedenen Ideen und unterschiedlichen Einflüssen vollzustopfen, dass sie nie Gefahr liefen, nur ein Abziehbild ihrer Vorbilder zu sein, darf man sich nun einbilden, dass trotz der Erweiterung um einen zweiten Gitarristen eine neue Klarheit in ihr Tun Einzug hält und dabei der Stellenwert der individuellen Performances wichtiger ist als der kollektive Wall of Sound.
"Das trifft den Nagel auf den Kopf", bestätigt Riggs. "Seit der ersten Platte sind viele Dinge passiert und COVID war nur eines davon. In den vergangenen Jahren haben wir uns unabhängig voneinander auf unser Leben konzentriert. Wir sind nur zusammengekommen, um Musik zu machen, und wenn wir zusammen sind, sind wir auf die Proben konzentriert und sprechen nicht viel über das, was mit uns privat so passiert."
Tatsächlich hatten sich Drahla während der Pandemie praktisch aufgelöst, und als die Bandmitglieder dann doch wieder zueinander fanden, brachten alle persönlich gefärbte neue Sichtweisen in die Arbeit ein.
"Ein Unterschied war sicherlich auch, dass wir bei der ersten Platte wussten, dass wir ein Album aufnehmen", erklärt Brown. "Dieses Mal ging es darum, überhaupt erst einmal herauszufinden, wie wir wieder zu dem zurückkehren können, was wir zuvor hatten." Natürlich hatten Drahla auch jetzt ein Album im Hinterkopf, aber der Weg dorthin war weniger geradlinig. Ohne sich selbst unter Druck zu setzen, arbeitete die Band an neuen Songs und vertraute darauf, dass sie das am Ende zu einem weiteren Album führen würde, oder wie Brown es ausdrückt: "Wir sagten uns: Wir kommen an, wenn wir ankommen!"
Wie wunderbar das funktioniert hat, belegt nun ´angeltape´, ein Album, für das Drahla die Herausforderungen der Vergangenheit genutzt haben, um die Tür für eine spannende Zukunft aufzustoßen!
Aktuelles Album: angeltape (Captured Tracks / Cargo)
Weitere Infos: drahla.bandcamp.com Foto: George Brown