Einst nannte Allysen Callerys altes Label Woodland Records ihre Musik Gespenster-Folk, eine Beschreibung, die der 53-jährigen Singer/Songwriterin aus Bristol, Rhode Island, so gut gefiel, dass sie nun ihr neues Album ´Ghost Folk´ genannt hat. Seit jeher den leisen, mystisch umwehten Tönen zugewandt, beeindruckt die Amerikanerin nun erneut als Sängerin und Gitarristin auf den Spuren des britischen Folk-Revivals der späten 60er-Jahre.
´Ghost Folk´ ist nicht allein das Genre für Allysen Callerys Musik und der Titel ihres neuen Albums, das in Deutschland wie schon der Vorgänger ´Songs The Songbird Sings´ als liebevoll gestaltete LP beim Oberhausener Vinyl-only-Connaisseurlabel Cosirecords erscheint, sondern beschreibt auch die Musikerin selbst. „In meinem alltäglichen Leben bin ich eine ruhige Einzelgängerin, und manchmal fühle ich mich selbst wie ein Gespenst“, verrät sie im Westzeit-Interview. „´Ghost Folk´ meint nicht Americana, wie es dort vorherrscht, wo ich herkomme, sondern etwas Zeitloses, ein wenig Düsteres und eher Jenseitiges.“Kein Wunder, schließlich fühlte sich die in der Vergangenheit bereits treffend als „Tim Burton of Folk Music“ beschriebene Callery schon in jungen Jahren von den Klängen des britischen Folk-Revivals der ausgehenden 60er-Jahre angezogen, von Bands wie Steeleyed Span, Fairport Convention oder Pentangle, die sie in der Plattensammlung ihrer Eltern entdeckte. „Als ich aufwuchs, verzauberte mich die klangliche Qualität von Tim Harts melancholischem Gesang mit Maddie Pryor, die anders war als alles, was ich im Radio hörte. Obwohl niemand meines Alters einen Schimmer vom britischen Folk hatte, habe ich immer mutig die Platten aus der Sammlung meiner Eltern mitgebracht, wenn es in der Schule darum ging, Musik vorzustellen, und mich gewundert habe, warum das niemand verstand. Es sollte noch eine lange Zeit dauern, bis ich auf die richtigen Leute traf! Ich liebte es damals, zu Sandy Denny mitzusingen, und immer, wenn ich mit ihr verglichen werde, empfinde ich das als großes Kompliment.“
Auch die zumeist solo eingespielten Songs des neuen Albums wirken oft wie aus der Zeit gefallen, ohne deshalb altbacken zu klingen. Denn Callery geht es nicht um Nostalgie, sondern schlichtweg darum, sich ihr eigenes Refugium zu erschaffen, ihre ureigene „Twilight Zone“. Trotzdem hat es über die Jahre einige sanfte Veränderungen gegeben.
„Ich schreibe immer noch über Liebe und Verlust, die Natur und die wundersamen Dinge, die ich mag, gleichzeitig glaube ich aber auch, dass ich inzwischen ein wenig selbstbewusster bin, wenn es um mich selbst und mein Songwriting geht. Heute mache ich mir keine Sorgen mehr, dass etwas zu seltsam klingen könnte. Als ich anfing, war ich noch schüchtern, wenn es darum ging, anders zu klingen als all die Musik, die es in meiner Gegend gab.“
Trotz großem Lob für ihre Fähigkeiten als Sängerin – in ihrer Stimme hallt die Verletzlichkeit Sandy Dennys genauso wider wie der Purismus von Shirley Collins –, für ihr eindrucksvolles Fingerpicking und für ihr fantasievolles Songwriting ist Callery stets auf der Suche nach neuen Herausforderungen. Nachdem ihre dieses Jahr abgesagte Tournee durch Deutschland und den Rest von Europa nun hoffnungsvoll fürs nächste Jahr geplant wird, nutzte sie die gewonnene Zeit, um sich mit ihrem langjährigen Mitstreiter und Vertrauten Myles Baer, der auch ´Ghost Folk´ produzierte, einem ganz anderen, bandorientierten Sound zu widmen, den sie selbst als Shoegaze und Psychedelic beschreibt – die Musik, die sie selbst inzwischen am meisten hört. Zudem würde sie sich gerne wieder verstärkt der Stromgitarre zuwenden.
„Meine erste Gitarre gehörte meinem Vater, eine Martin Konzertgitarre mit Nylonsaiten. Auf dem Instrument habe ich das Spielen gelernt (und nehme heute wieder damit auf!), aber meine zweite Gitarre war eine Les Paul Jr., die ich mir damals zulegte, weil mein Vorbild Jimi Hendrix eine gespielt hatte“, verrät sie. „Einige Jahre später habe ich sie wieder verkauft, weil ich mir keinen Verstärker leisten konnte, aber jetzt, da mein Ehemann Röhrenverstärker baut, ist es mir ein echtes Anliegen, besser an der elektrischen Gitarre zu werden, um große dunkle Powerakkorde zu spielen und so richtig Gas zu geben.“
Aktuelles Album: Ghost Folk (Cosirecords)
Weitere Infos: allysencallerymusic.com Foto: Ted Hayes