Auf ihrem Debütalbum ´At Weddings´ glänzte Sarah Beth Tomberlin vor vier Jahren mit leisen und doch immens kraftvollen Coming-of-Age-Songs, mit denen die damals 23-jährige Tochter eines Baptistenpredigers ihre Sinnsuche zwischen Glaubenskrise und Identitätsfindung bewegend und anmutig zugleich in Töne goss. Ohne alte Tugenden aus den Augen zu verlieren, findet Tomberlin auf dem nun erscheinenden Nachfolger ´I Don´t Know Who Needs To Hear This…´ dezente neue Ausdrucksformen jenseits des solistischen Gitarren-Ansatzes und setzt so ihre unkonventionelle Reise als einfühlsame, inzwischen spürbar reifere Musikerin beeindruckend fort.
Tomberlin ist aber nicht nur metaphorisch auf Reisen, denn in den letzten Jahren war die junge Musikerin an allen erdenklichen Ecken der USA heimisch. Entstanden ihre ersten Lieder noch in der ländlichen Einöde von Illinois, ist die in Florida geborene Singer/Songwriterin nach Zwischenstopps in Kentucky und Kalifornien inzwischen in New York angekommen. Dort arbeitete sie gemeinsam mit Produzent Philip Weinrobe, der zuvor Adrianne Lenker und Buck Meek von Big Thief bei ihren Solowerken unterstützt hatte, und erstmals mit einigen betont behutsam agierenden Musikern im Rücken auch an ´I Don't Know Who Needs To Hear This…´. Entstanden ist dabei ein Album, auf dem sich Tomberlin einmal mehr tief in die Karten schauen lässt, wenn sie im Folk-Dunstkreis mit herrlich versponnenen Songs und grüblerischen Texten ihren Gefühlen auf den Grund geht. Ihrem Songwriting, das spürt man beim Hören der neuen LP sofort, nähert sie sich auch weiterhin sehr instinktiv und mit viel Intuition – trotz eines seit dem Erstling sprunghaft gewachsenen Publikums und eines Produktionsprozesses, für den ihr viel mehr Mittel als zuvor zur Verfügung standen.„Ich denke, ich versuche immer, den Sound zu erweitern und dennoch der Intuition zu folgen“, erklärt sie beim Treffen mit der Westzeit vor ihrem Konzert im Kino des Dortmunder U Ende April. „Ich lese gerade Mary Oliver und sie sagt, Aufmerksamkeit ist der erste Schritt zur Hingabe, und das ist so wahr, besonders beim Schreiben und Songwriting. Es ist tatsächlich so: Je mehr Zeit du in etwas investierst, desto mehr gibst du dich der Sache hin und sie gibt sich dir hin. Alles fällt plötzlich leichter. Ich denke, es gab da einige mentale Blockaden, einfach nur dieses ´Ah, zweite Platte!´ Früher habe ich Musik nur für mich gemacht, aus Spaß, um mich auszudrücken, und plötzlich kommuniziert man mit einem Publikum und es wird ein bisschen … Ich denke, es ist gut, ein bisschen Druck zu haben, weil man wachsen will, und dazu braucht es Gegenwind, aber letztlich geht es viel darum, einfach die mentalen Dinge beiseitezuschieben und an den Ort zurückzukehren, an dem man sich selbst und dem, was man sagen will, ganz nah ist."
Das gilt auch für die Arrangements, die auf ´I Don´t Know Who Needs To Hear This…´ spürbar weniger spartanisch sind als in der Vergangenheit, aber weiterhin durch ihren oft herrlich beiläufigen, informellen Charakter bestechen.
„Ich glaube, ich wusste von Anfang an, dass ich den Sound in puncto Instrumentierung erweitern wollte, gleichzeitig war mir aber auch wichtig, dass die Seele des Songs erhalten bleibt. Philip Weinrobe war sehr bedacht darauf, genau auf diesen Aspekt zu achten. All die anderen Musiker, die auf der Platte spielen, haben zunächst einmal mir dabei zugehört, wie ich das Lied im Studio auf der Gitarre spiele – genau so, wie ich es geschrieben hatte. Erst danach haben wir unsere Fühler in andere Richtungen ausgestreckt, und ich denke, das war immens wichtig, um den Kern, das Herz des Songs zu bewahren. Es ging darum, den Faden nicht zu verlieren, sondern ihn vorsichtig durchs Nadelöhr zu schieben."
Doch auch wenn Tomberlin mit der neuen Platte einen gewaltigen Satz nach vorn macht – die Frage, ob die Erfahrungen, die sie in den zurückliegenden Jahren machen konnte, auch dazu geführt haben, dass sie inzwischen mehr Kontrolle über den Songwritingprozess hat, kann sie nicht eindeutig beantworten.
„Ich denke, das Ganze ist immer noch ein Rätsel für mich“, gibt sie zu. „Als die Lieder für "At Weddings" entstanden sind, habe ich 45 Stunden pro Woche Vollzeit gearbeitet und war 50 Stunden pro Woche mit meinem Studium beschäftigt. Immer, wenn es bei der Arbeit oder im Unterricht eine Pause gab, habe ich Songtexte ohne Musik niedergeschrieben. Ich erinnere mich, dass ich ´You Are Here´ oder ´Any Other Way´ auf der Arbeit oder im Unterricht angefangen habe zu schreiben. Damals habe ich alles noch viel genauer genommen, denn das waren ja meine ersten Songs! Inzwischen gebe ich dem magisch-mystischen Etwas mehr Raum. Seltsamerweise habe ich umso weniger Kontrolle, je mehr ich schreibe. So geheimnisvoll das Ganze auch ist, habe ich doch eine direktere Absicht, den Dingen, die ich sagen möchte, auf den Grund zu gehen.“
Aktuelles Album: I Don´t Know Who Needs To Hear This (Saddle Creek / Rough Trade)
Weitere Infos: www.tomberlinmusic.com Foto: Michelle Yoon