Bei vielen Musikern wird die kreative Leidenschaft schon von Kindesbeinen an geschürt. Gerade in kunstaffinen Familien ist es nicht selten, dass die Kinder gefordert und gefördert werden, um später selber als Protagonisten auf der Bühne zu stehen. Nicht selten finden sich deshalb auf diesen Brettern, die die Welt bedeuten auch Geschwisterkonstellationen. Die Formation The Bangles mit den Schwestern Vicky und Debbi Peterson gehört dazu, die Gallagher-Brüder von Oasis ebenso. Ray und Dave Davies sind als Gitarrist und Sänger bei The Kinks aktiv oder die Rockband-Zwillinge Benji und Joel Madden, die Good Charlotte musikalisch prägen. Deutschland schickt ganz aktuell JOCO und damit die Schwestern Josepha und Cosima Carl, die derzeit in Hamburg leben, ins Rennen.
Friedliche KreativitätDoch der kreative Austausch unter Geschwistern kann fast gewaltsame Züge annehmen und ein künstlerischer Traum wird zum Trauma - wie etwa bei den Gallagher- oder Davies-Brüdern. Aber er kann sich gänzlich friedlich vollziehen, wie bei den Madden-Zwillingen.
„Also, wir sind nie aus dem Streit heraus kreativ, wir verstehen uns gut. Uns reicht friedlichen Austausch völlig“, sagt Josepha. Typisch für die beiden Schwestern ist ihr zweistimmiger Gesang, der mit einem minimalen Schlagzeug unterlegt ist, dass Josepha spielt, während Cosima, die ältere der beiden, Klavier- und Gitarren-Klänge hinzu zaubert. Wenn sich die Schwestern im Interview intensiv anschauen, geben sie zu verstehen, dass sie genau wissen, was die Augen der jeweils anderen sagen. Manchmal scheinen sie sogar zu verschmelzen, ähnlich, wie ihre Stimmen, die sich erst in überraschenden Melodien umtanzen, um dann so wunderbar ineinander verschmelzen. Diese Zweistimmigkeit, die für den Hörer so becircend ist, ist für Josepha und Cosima Carl so revolutionär gar nicht.
„Unsere Mutter hatte mit ihrer Schwester auch ein Duo“, lächelt Cosima, „auch sie haben bereits diese bezaubernde Zweistimmigkeit gepflegt.“
Auf dem Hintergrund dieses fruchtbaren Familienbodens kommt für die Schwestern nie die Frage auf, ob es denn im Leben noch etwas anderes, außer der Musik geben könnte. Beide studieren am ArtEZ Konservatorium im niederländischen Enschede – Cosima Klavier und Josepha Gesang. Schließen den renommierten Hamburger Popkurs ab. Und sind dennoch nicht zufrieden.
„Erst, als wir uns auf unsere eigene Musik und die Duoformation konzentrierten, war diese seltsame Unruhe wie weggeblasen“, erklärt Cosima.
Wuchtige Kontraste
Der Klangkosmos von JOCO ist voller sinnlicher Noten, die sich reduziert und klar auf das Wesentliche besinnen. Aber das heißt nicht, dass die Schwestern nicht Kontraste bauen können. Und Wucht entfalten. Für diese Klarheit in der Komposition ist hauptsächlich Cosima verantwortlich. Sie schreibt die Stücke.
„Dazu muss ich allein sein, oft sogar hermetisch abgeschirmt“, sagt sie, „nur so kann ich sie richtig weit voran treiben und ihnen diese Detailverliebtheit angedeihen lassen. Und auch diese Gefühle, die des mal himmelhoch jauchzen zu wollen und dann ist man wieder zu Tode betrübt.“
So finden sich im Lied ´Sailors´ die Motive des ziellosen Fahrradfahrens im Wind und das trunkenen Tanzes im Erdbeerfeld morgens um Sechs. JOCO können aber auch komplizierte Themen, wie Beziehungsprobleme und Schicksalsschläge. So erzählt beispielsweise ´Bleeding´, wie sich Josepha von einem dreifachen Kieferbruch erholt. Aufgenommen wird JOCOs Album ´Horizon´ in den berühmten Abbey-Road-Studios in London. Und ist es so, dass solche magischen Orte beseelt sind von den kreativen Geistern der Musiker, die hier schon ihre Bahnen gezogen haben?
„Du kannst dich dem wirklich nicht entziehen, schon allein dadurch, dass du im Flur an einer Art Ahnengalerie vorbeiläufst“, erinnert sich Cosims, „doch bei uns war diese Geisteratmosphäre noch in ganz anderer Weise präsent. Ich durfte das legendäre Schiedmayer Celeste-Piano spielen, das etwa im Intro von Pink Floyds ‚Time’ auf ‚Dark Side Of The Moon’ zu hören ist oder in ‚A Day In The Life’ aus dem The Beatles-Album ‚Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band.’ Natürlich inspiriert das wahnsinnig.“
Das Horizont-Prinzip
Dass das JOCO-Album den Titel ´Horizon´ trägt, ist nicht zufällig. Der Begriff Horizont hat für JOCO eine ganz besondere Bedeutung.
„Horizont bedeutet für uns Weite, Größe und Transzendenz“, philosophiert Josepha, „es geht für uns deshalb darum in Stück-zusammenhängen groß zu denken, darüber zu reden, was man gerne tut und was einem Freude bereitet. Dabei muss es auch immer darum gehen, sich nicht in vorgefertigte Systeme zwängen zu lassen, sondern mit ganzer Kraft und Hingabe das Eigene zu entwickeln und sich so frei zu entfalten.“
Das ist wohl auch ein Grund dafür, dass diese Platte nicht nur randvoll mit aufregender Musik ist, sondern auch voller Magie. Ein anderer ist der der Klangästhetik dieser Zweistimmigkeit, die den Stücken eine einzigartige Eindringlichkeit verleiht, zu der vielleicht nur zwei Schwestern fähig sind, die zumindest kreativ eine fast symbiotische Verbindung eingehen. Und die den Liedern immerzu den Unterton verleiht, dass es eine gemeinsame Stärke gibt, auf die man sich einfach besinnen kann und muss und dann erwischt auch ein noch so dunkler Tag eine ordentliche Portion an Sonnenstrahlen.
Aktuelles Album: Horizon (Sony Music)