Ahzumjot gilt als einer der spannendsten Newcomer der hiesigen HipHop-Szene. Sein zweites Album ´Nix mehr egal´ zeigt: völlig zurecht. Wobei Newcomer eigentlich nicht ganz stimmt. Zwar ist Alan Asare, wie Ahzumjot mit bürgerlichem Namen heißt, gerade mal 25 Jahre alt, angefangen zu rappen hat er aber schon mit 15. Da schwänzt er die Schule und trifft sich lieber mit Kumpels und nimmt Song nach Song auf. Am Anfang ist noch viel Quatsch dabei: unfertige Skizzen und spontane Blödeleien. Aber schon bald münzt Ahzumjot seine unbändige Kreativität in eine beachtliche Hobby-Discographie um.
“Seit 2005 habe ich vier EPs, drei Mixtapes, so wie diverse Solo-, Kollabo- und Remix-Alben gemacht”, resümiert er lachend. “Zusammengenommen waren das wohl um die 250 Songs.”250 Songs, die natürlich kaum jemand kennt, weil auch kaum jemand Ahzumjot kannte. Aber auch 250 Songs, die man erst mal machen muss.
Und auch 250 Songs, deren Schaffungsprozess Alan Asare soviel Erfahrung und Selbstbewusstsein mit auf den Weg geben, dass er 2011 in Eigenregie sein erstes Album unter dem Künstlernamen Ahzumjot veröffentlicht. ´Monty´ handelte von all den Stadtkids, die mit Anfang 20 orientierungslos zwischen Abitur und Aushilfsjob hin und her taumeln und sich bei all der Sinnsuche im bedeutungslosen Nirgendwo verrennen. Am Anfang rechnet er mit 20 oder vielleicht 30 Vorbestellungen. Dann sind es 400. Ahzumjot erzählt, wie er nach Feierabend an drei Laptops gleichzeitig CDs gebrannt und parallel dazu die schon fertigen Exemplare in pinkes Geschenkpapier eingeschlagen, unterschriebene Sticker beigelegt und anschließend alles eigenhändig zur Post gebracht hat.
“Ich hatte tatsächlich Angebote von Labels, die das Album gerne herausgebracht hätten. Aber ich wollte es lieber selber machen.” Wieder so eine Erfahrung.
Als Ahzumjot eines Morgens aus dem Fenster guckt, hat jemand ein großes pinkes Viereck, ähnlich dem auf seinem Albumcover, an die Laterne vor seinem Haus geklebt. Da wird Alan bewusst, dass das gerade alles mehr sein kann, als nur ein selbstgebranntes Album. Sondern das seine Worte bei den Leuten ankommen.
“Das Feedback war tatsächlich überwältigend”, erinnert er sich. “Aber natürlich weiß ich auch, dass das Album viele Schwächen hatte: Hier gab es mal schiefe Sounds und dort fehlten ein paar Bässe. Ich wusste es schlichtweg nicht besser.”
Er schmunzelt. “Aber die Naivität mit der wir darangegangen sind, hat dem Album auch seinen einzigartigen Charakter verliehen – und darauf bin ich sehr stolz.”
Selber machen heißt aber auch: der fette Vorschuss vom Label bleibt erst mal aus. Um seine Miete zahlen zu können, macht Ahzumjot alles. Flyer verteilen, Mixtapes von anderen Rappern verscherbeln, im Callcenter jobben, Sneaker verkaufen und in der Showküche einer italienischen Restaurantkette Nudeln zubereiten. Tagsüber jobbt er, abends rappt er. Und egal ob im Schuhgeschäft oder der Showküche: er wird jetzt immer öfter erkannt. Als die ersten Anfragen für Konzerte reinkommen und sein Chef ihm keinen Urlaub genehmigt, kündigt er. Immer wieder. Zehn mal in einem Jahr.
Ahzumjot lacht über die Zeit.
“Ich brauchte diesen Hustle, um Musik machen zu können. Was soll ich denn sonst erzählen? Ich hasse es, wenn Leute Quatsch erzählen.”
Ihn stört, dass viele Rapper dieser Tage versuchen, die Mitleidsschiene zu fahren. Denn in der Tat ist es derzeit angesagter denn je, seine Emotionen über melancholische Beats zu rappen.
“Dabei verkaufen viele die Probleme anderer als ihre eigenen”, findet Ahzumjot.
“Die Leute rappen davon, dass sie ein Alkoholproblem haben, meinen damit aber, dass sie sich am Wochenende mal hemmungslos betrinken. Ein Alkoholproblem ist das, was mein Vater jahrelang hatte und mittlerweile überwunden hat. Da fühle ich mich einfach verarscht.” Er zieht an der Zigarette. “Nichts ist wichtiger als Ehrlichkeit. Ich meine, wer mag es denn schon angelogen zu werden?”
Ahzumjots Ehrlichkeit zahlt sich aus. Er spielt im Vorprogramm von Casper, bald auch auf den ersten Festivals und ist mittlerweile bei der Plattenfirma Universal untergekommen. Dort erscheint dieser Tage auch ´Nix mehr egal´. Auf jedem der 13 Tracks geht es um das vermeiden dieses kollektiven Schulterzuckens, um das Ausbrechen aus dem Kreislauf, der für die meisten nur aus Essen, Arbeiten und Schlafen besteht. Es ist ein Aufbegehren gegen das Leben, was man nicht für sich selbst sondern für andere führt. Darum, dass einem eben ´Nix mehr egal´ ist.
“Du kommst auf die Welt und sofort will jeder etwas von dir”, findet Ahzumjot. “Dass deine ersten Worte ´Mama´ und ´Papa´ sind, dass man beim Abi einen Anzug trägt und dann schnell einen Job findet. Ich habe mich irgendwann gefragt: Warum interessiert dich eigentlich, was die Leute von dir wollen? Es geht doch um dich und dein Leben!”
Dabei sieht Ahzumjot das Ausbrechen aus dem Alltag längst nicht so romantisch und verklärt wie viele seiner larmoyanten Leidensgenossen.
“Das sogenannte Peter-Pan-Syndrom, von dem so viele immer reden, geht mir auf die Nerven. Wieder Kind sein, weil Kinder nichts tun müssen – das ist doch Quatsch.”
Es seien vielmehr Neugier und Interesse, die ein Kind ausmachen.
“Man kann einem Kind fünf Mal sagen, es soll nicht auf die Herdplatte packen. Aber es macht das trotzdem. Genau so will auch ich meine Erfahrungen machen. Ich will nicht aus den Fehlern der anderen lernen.”
Die Rebellion gegen die Egalheit ist die eine Seite des Albums. Und mitten hinein in dieses Aufbegehren pflanzt Ahzumjot Stücke wie das gleichermaßen unprätentiöse und wunderschöne Liebeslied ´8701´ oder ´4 Minuten´, in dem Ahzumjot eindrucksvoll die Geschichte seiner Familie erzählt. Von den gemeinsamen Bob Marley-Listeningsessions bis zur Trennung der Eltern und der Zeit, die er im Anschluss mit seiner Mutter in einer Wohnung ohne Möbel verbracht hat. Für den magischen Song ´Geschichte´ holte Ahzumjot sich Inspiration bei Paolo Coelhos Roman »Der Alchimist«.
Der Text ist, wie die meisten anderen auf dem Album auch, bei einer Songwriting-Reise an die Ostsee entstanden Auf endlosen Spaziergängen durch das verschneite Binz schreibt Alan erste Zeilen.
“Auf dem Weg an die Ostsee habe ich das Buch zuende gelesen und habe mich danach gefühlt wie ein anderer Mensch. Die Geschichte von dem andalusischen Schäfer, der sich auf den Weg macht, um einen bei den Pyramiden vergrabenen Schatz zu suchen, hatte generell großen Einfluss auf das Album: Denn der Hirte erfährt am Ende, dass der Schatz nicht bei den Pyramiden, sondern am Ausgangspunkt seiner Reise zu finden ist.«
Ähnlich verhält es sich auch mit dem Album, das im ersten Stück fragt ´Wann bin ich dran?´, das danach das ´Schlaraffenland´ zerstört, in dessen Verlauf sich Ahzumjot von all den Zwängen seines Lebens und den Erwartungen anderer freikämpft und dann mit ´Tag 1´ schließt. Dem Tag, an dem Ahzumjot sich seine eigene Welt erbaut.
In Nikolai Potthoff hat Ahzumjot den perfekten Produzenten und Kollaborateur für das Vorhaben gefunden, diese Experimentierfreude, die schon auf ´Monty´ durchschien, auch auf dem zweiten Album fortzuführen und weiter voranzutreiben. Gemeinsam mit Levon Surpreme, der auch schon auf ´Monty´ einige Produktionen beisteuerte, lieferte Ahzumjot musikalische Skizzen und Motive an Nikolai Potthoff, der daraus die fertigen Produktionen formte. ´Nix mehr egal´ hat einen ganz eigenen Sound, der in der hiesigen HipHop-Landschaft seinesgleichen sucht. Ein Album, das klingt wie ein Kind von Coldplay und Kanye West. Und in diesen opulenten Überbau haben Ahzumjot und sein Team immer wieder wohldosierte Referenzen eingebaut: Es gibt Querverweise auf die tiefen Bässe eines James Blake-Songs oder die adlips amerikanischer Südstaatenrapper. So lädt das Album einerseits zum Mitsingen auf den großen Bühnen ein, zum anderen stößt man sich aber immer wieder an den komplexen Arrangements und liebevollen Kunstgriffen.
Letzten Endes ist ´Nix mehr egal´ die konsequente Weiterführung von ´Monty´ - natürlich ein wenig nachvollziehbarer und mit einer klareren Struktur versehen. Vielleicht ist es auch ein bisschen weniger naiv und abgeklärter. Es stellt immer noch Fragen, aber es liefert eben auch Antworten. “Ich will mich nicht mit 35 fragen, was ich eigentlich die letzten Jahre getrieben habe”, sagt Ahzumjot.
“Ich will etwas aus meinem Leben machen und, auch wenn das richtig abgehoben klingt, Geschichte schreiben. Nicht in den generellen Geschichtsbüchern, sondern in meinen eigenen. Ich will etwas erzählen.”
Mit ´Nix mehr egal´ stellt er das eindrucksvoll unter Beweis.”
Aktuelles Album: Nix mehr egal (Universal) Vö: 22.08.
Foto: Christoph Voy