Seit Low den Slowcore erfunden haben, weiß die Musikwelt: Quiet is the new loud. Doch Frontmann Alan Sparhawk entdeckte zuletzt die Lust am Lärm und lässt das zweite Album seines Nebenprojekts Retribution Gospel Choir erschreckend laut tönen. „Du solltest ‚2’ nicht unterschätzen“, witzelt er und es scheint, als ob der Sound dieses Longplayers kein Einzelfall bleibt.
Privates und Berufliches zu vermischen, klappt selten. Die US-amerikanische Band Low ist die Ausnahme dieser Regel und wird seit Mitte der Neunziger vom Ehepaar Alan Sparhawk und Mimi Parker betrieben. Kein Blatt passte bislang zwischen die beiden und trotzdem ist der Ehemann im Kreise des Retribution Gospel Choir ohne seine Frau aktiv.In einem Berliner Hotel sitzend, streicht sich Alan Sparhawk über seine exorbitanten Koteletten und richtet die zerschlissene Army-Jacke grade: „Zwischen uns ist alles prima, keine Beziehungsprobleme. Mimi will sich einfach mehr um die Kinder kümmern und ganz ehrlich, am liebsten würde ich mit ihr tauschen. Es ist nicht leicht auf Tour zu sein, während die Family zu Hause sitzt.“
Die Krux des Musikerlebens: Always on the Road. Die Marschrichtung hat sich dabei indes geändert, Sparhawk gründete vor zwei Jahren den Retribution Gospel Choir und verwirklichte im Zuge dessen seine Lust auf Lärm. Er sei nach wie vor der festen Überzeugung, dass Low nicht geeignet seien, diese Musik umzusetzen, bekräftigt er mit einem Blick zu seinen schweigsamen Kollegen, Bassist Steve Garrington und Schlagzeuger Eric Pollard.
Mit „2“ veröffentlicht das Trio ihr zweites Album und hat alle Regler auf Anschlag gedreht: Die Gitarren mäandern sich wie wild durch die Songs, die Drums drängeln sich permanent nach vorne und wenn beim Song „’68 Comeback“ noch Black Sabbath-Anleihen bemüht werden, glaubt man es mit Ozzy Osbourne & Co. zu tun zu haben.
„Ich fand unser Debüt nicht radikal genug. Irgendwie hielten mich zu viele Zweifel ab, die Sache rigoros durchzuziehen“, erklärt Sparhawk und wirft einen prüfenden Blick auf den langsam in die Tasse eintauchenden Teebeutel.
Mit ähnlicher Geschwindigkeit bewegten sich bislang auch die Songs von Low, seiner eigentlichen Hauptband fort. Bislang! Denn der Retribution Gospel Choir präsentiert erstmals das neue Selbstverständnis des Tausendsassas Alan Sparhawk.
Beim gleichnamigen Debüt vor zwei Jahren half ihm Ex-Red House Painters-Frontmann Mark Kozelek als Produzent – diesmal ist es Matt Beckely, bekannt durch seine Arbeiten mit Britney Spears und Paris Hilton.
Richtig gelesen, ein Pop-Produzent vor dem Herrn schraubte am Sound von „2“ und genau darüber ist Sparhawk erstaunlich froh: „Die Vorurteile belasteten ihn natürlich schon. Ich war ebenfalls verunsichert, ob dass mit Matt funktioniert – doch er ist ein kluger Kopf und kann sich hervorragend auf Songs einlassen. Manchmal forderte er mich regelrecht auf, lauter und dröhnender zu spielen – wie bei einem Konzert.“
Trotz solcher und ähnlicher Anekdoten, landet das Gespräch irgendwann bei Low und der Frage, was nun aus ebenjener Combo wird – gibt es bald neues Material oder müssen wir uns damit abfinden, dass Mimi Parker ihre Rolle als Mutter zu schätzen weiß?
Ein Lachen, sowie eine beruhigende Antwort folgen.
„Wir arbeiten bereits an neuen Songs, sie werden aber nicht so klingen, wie viele nach meinen beiden Platten mit dem Retribution Gospel Choir erwarten. Beim letzten Low-Album waren die Arrangements sehr minimal, vielleicht werden sie jetzt wieder opulenter – ich kann es nicht genau sagen.“
Ist auch nicht nötig, die Information über das Weiterleben reicht. Alan Sparhawk bleibt ein Hansdampf in allen Gassen, denn „2“ wird laut eigener Aussage nicht das letzte Werk der Zweitband bleiben. „Ich habe gerade so viele Ideen im Kopf.“
Genau diese Euphorie ist den aktuellen Beiträgen anzuhören – so zuversichtlich klang er selten und beweist, dass das Slowcore-Genre keine künstlerische Sackgasse ist. Alan Sparhawk ist abgebogen und hat sich nicht verfahren. Zum zweiten Mal in Folge.
Aktuelles Album: 2 (Subpop / Cargo)