Schon von weit her müssen Reisende diese ungewöhnlichen Gebäude gesehen haben. Über 2o Meter hoch ragten sie zu Dutzenden in den Himmel über der Wüste: die Turmgräber von Palmyra. Sie prägten neben vielen anderen Prachtbauten das Bild dieser antiken Oasenstadt in Syrien. Seit einigen Monaten ist davon so gut wie nichts mehr zu sehen. Der so genannten Islamische Staat hat die erhaltenen Anlagen, die zum Weltkulturerbe der Menschneit gehörten, dem Erdboden gleichgemacht.
Abb. oben: Luis Francois Cassas, Turm Grab des Iamblik, Ansichten und Schnitte der Fassadenniesche, Feder in Schwarz, laviert und aquarelliertAbb. unten: Sonnentempel in Palmyra, Foto: Daniel Lohmann
Die Ausstellung „Palmyra – Was bleibt?“ im Kölner Wallraf-Richartz-Museum erinnert an die vormals reiche Handelsstadt an der Grenze des Römischen Reiches. Ihre Bedeutung wird mit der verglichen, die zuvor Karthago und später Venedig gespielt haben. „Ich wurde von einer religiösen Ergriffenheit gepackt, die sich beim Näherkommen noch steigerte“, bemerkte Louis-Francois Cassas (1756-1827) beim Anblick der Ruinenstadt. Schon der französische Künstler, Archäologe und Architekt, der im Nahen Osten die antiken Stätten bereiste, war aufgebrochen, um Erinnerungsarbeit zu leisten.
In der Kabinettausstellung sind 40 Zeichnungen von Palmyra zu sehen, die eindrucksvoll die Schönheit der Stadt und den architektonischen Reichtum belegen. Wie aber kann das sein, wenn Cassas doch 1785 nur noch Ruinen gesehen hat? Der Künstler wandte einen Trick an, er hielt mit seinem Zeichenstift nicht nur das fest, was er sah. Er vervollständigte die ebenso präzisen wie detaillierten Ansichten der Gebäudefronten und Architekturornemente, indem er nicht mehr Vorhandenes ergänzte und farblich absetzte.
Auf den Spuren des Franzosen spaziert man in Köln durch ein Palmyra, von dem nun nichts mehr existiert. Über die von Kolonnaden gesäumte Säulenstraße erreicht man das Bogentor, gelangt zum Theater und zum Diokletianslager, wo sich das Oberkommando einer römischen Legion befunden hatte. Man blickt in das Heiligtum des Bel und den Baalshamin-Tempel und sieht aus den einzigartigen Turmgräbern in die Landschaft. Sogar Skulpturen und Inschriften hat Cassas minutiös festgehalten. Einer Inschrift ist beispielsweise zu entnehmen, dass ein gewisser Sossianus Hierokles der Bauherr des Diokletianslager war. Cassas spürte in seinen Zeichnungen den griechischen, römischen und persischen Einflüssen nach.
Mit besonderem Interesse ist Cassas den Turmgräbern begegnet, in denen die durch Handel zwischen Rom und Indien oder China reich gewordenen Familien ihre Verstorbenen - nicht selten mumifiziert - beisetzen. Der französische Künstler hat mit Bleistift und Feder akribisch genau Fassadennischen der Turmgräber mit ihren Büsten gezeichnet und Szenen des Deckendekors. Goethe, der 1787 in Rom Palmyra-Zeichnungen gesehen hatte, kann man nur beipflichten: „Die Sachen des Cassas sind außerordentlich schön.“Die im Titel der Schau gestellte Frage lässt sich schnell beantworten. Es sind Cassas' Zeichnungen, die bleiben. Kunsthistoriker wie Horst Bredekamp fordern zwar bereits den Wiederaufbau, die „kämpferische Rekonstruktion“, doch das wird auf längere Sicht ein frommer Wunsch bleiben. Wenn es jedoch eines fernen Tages dazu kommen sollte, werden die Zeichnungen von Louis-Francois Cassas unverzichtbare Helfer sein. Digital projizierte Karten und Satellitenaufnahmen zeigen in Köln das Palmyra vor und nach den Zerstörungen. Für Kurator Thomas Ketelsen, der mit den Ausstellungsplanungen begonnen hatte, als die Ruinenstadt noch existierte, sind die Cassas-Zeichnungen nun so etwas wie Todesanzeigen. Palmyra – Was bleibt? - Louis Francois Cassas und seine Reise in den Orient (-8.05.2016) Wallraf-Richartz-Museum Köln Information: 0221/221-21119,www.wallraf.museum Katalog 14,00 Euro