Als Albert Oehlen in den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts Leinwände farblich veränderte, geschah dies mit der Absicht, der Harmlosigkeit der versandenden Pop Art-Jahre und dem Chic der Postmoderne eine aus Jugendlichkeit und Wildheit gespeiste Malerei des Neo-Expressionismus entgegenzusetzen. In sich verlaufende Farben, Kleckse, Farbwürste, Linien, Punkte, Schrift und Abbildungen stemmten sich einer Kunstentwicklung entgegen, die zwischen Ästhetik und rotziger Widersetzlichkeit (Punk!) pendelte und einem scheinbaren Dilettantismus das Wort redete.
Alles muss 'raus. Das schien die Devise zu sein, mit der Albert Oehlen und seine engeren Künstlerkollegen Werner Büttner, Martin Kippenberger, Jörg Immendorff, Georg Herold oder sein Bruder Markus (auch Schlagzeuger u.a. bei „Mittagspause“) das Pflaster, auf dem die bildende Kunst haust, herauszureißen und in neuer Struktur der Malerei eine Fläche bieten. Gleichzeitig fassten die Begriffe „jung“ und „wild“, die wie ein Sakko über der künstlerischen Grundhaltung als plakative Accessoires benötigt wurden, im Sinne einer politischen Volkskunst nach den Vorstellungen der 68er im Kunstmarkt Tritt. Erste Schritte entwickelten sich ab 1978 zu einer regen Ausstellungstätigkeit, abstrakte und figurative Elemente bestimmen seine Bilder, die in ihrer krassen Farblichkeit und aufgewühlten Formenvielfalt ein kraftvolles, sehr persönliches Charisma erreichen. Die Ausstellung im Bonner Kunstmuseum untersucht anhand von etwa fünfundvierzig Arbeiten aus allen Schaffensphasen Oehlens – von den frühen 80er Jahren bis heute – zwei miteinander verknüpfter Themenbereiche. Da steht einerseits Oehlens spezifischer Umgang mit der abstrakten Malerei, den der Künstler in dem Wortungetüm „postungegenständliche“ Malerei definiert. Albert Oehlen hebt die althergebrachte Unterscheidung zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit auf, in dem er jedes Thema in formalisierter Bildsprache betrachtet und Wirklichkeit nur als These behauptet. Dementgegen steht das Verhältnis zwischen Linie und Fläche in Oehlens Werk, das Verhältnis zwischen Zeichnung und Malerei.Die „Neue Heftigkeit“, der sich die jungen oder „Neuen Wilden“ in Deutschland hingaben, hat ihren Ursprung in der italienischen „Transavanguardia“ um Francesco Clemente und Mimmo Paladino, die sich Anfang der 80er Jahre in Europa und in den USA nahezu zeitgleich etablierte und eine Opposition zur vorherrschenden Kunst bildete. Berlin, Köln, Hamburg – im Dreigestirn der neuen, wilden Kunst tobten sich in Berlin Reiner Fetting und Salomé, Walter Dahn und Peter Bömmels („Mülheimer Freiheit“) in Köln sowie in Hamburg die bereits genannten Oehlen, Büttner, Immendorf auf Leinwand und Papier aus. Die Bezeichnung „Neue Wilde“ leitet sich aus dem Ausstellungstitel „Les nouveaux fauves – die neuen Wilden“ ab, die 1980 in der Neue Galerie-Sammlung Ludwig in Aachen gezeigt wurde.
Das Werk von Albert Oehlen umfasst neben der Malerei, den Zeichnungen und Collagen ein ansehnliches Konvolut an Druck- und Computergrafik, Fotomontagen, Schallplatten, Bühnenbilder und raumgreifende Installationen. Dazu zählt das Bodenmosaik „Bionic Boogie“, das im Rahmen der EXPO 2000 in Hannover für das Kunstprojekt „In Between“ entstand. Seine Arbeiten bestehen aus graphischen Elementen, deren vielschichtige und farblich ausgeprägte Gemälde eine manchmal plakative, überwiegend jedoch differenzierte Antwort auf die Fragen der Kunst und der Gesellschaft geben (übermalte Werbeplakate). Ganz im Sinne der Cut-up-Technik und in der Tradition der Pop-Art der 60er Jahre dringen Albert Oehlens Fotokollagen und Klebebilder in den Zwischenraum von Design/Werbegraphik und Malerei ein. Wo in den Gemälden und Computerbildern, die er mit einfachsten Grafikprogrammen und teilweise grob gepixelt herstellt, einer seiner Hauptakteure, die Linie, als Favorit auftritt, beherrscht mit breiter Brust der rechte Winkel das Bild. Werbeanzeigen, Charlie Chaplin, der Schriftzug „DADA“, der Musiker Scooter, Landschaftsfoto, barbusiges Mädchen – für Albert Oehlen Gegenstände, Personen und Sujets, die, neu zusammengesetzt, dem Betrachter als Konsumenten oder als Rezipienten nach seinen Vorstellungen eine Geschichte erzählen.
Nach einer Verlagslehre studierte der 1954 in Krefeld geborene Albert Oehlen bei Claus Böhmler und Sigmar Polke an der Hamburger Hochschule für bildende Künste. Zusammen mit Walter Büttner gründete er 1976 die „Liga zur Bekämpfung widersprüchlichen Verhaltens“ und eröffnete 1980 mit Markus Oehlen und Büttner eine „Samenbank für DDR-Flüchtlinge“. 1984 war er Teilnehmer an der Düsseldorfer Ausstellung „von hier aus“. Im Jahr 2000 erhielt Albert Oehlen eine Professur an der Düsseldorfer Kunstakademie.Bis 03.06.2012 Kunstmuseum Bonn, Museumsmeile, Friedrich-Ebert-Allee 2, 53113 Bonn Tel.: 0228-776260 Geöffnet: di – so 11 – 18 Uhr, mi 11 – 21 Uhr Eintritt: 7/3,50 Euro, Familienkarte 14 Euro Katalog: 29 Euro (Hatje Cantz Verlag)
Weitere Infos: www.kunstmuseum-bonn.de