Neugeborenes Rentier, Abguss in leuchtgrün eingefärbtem Polyurethan; neugeborenes Rhinozeros, Abguss in gelb eingefärbtem Polyurethan; neugeborenes Flusspferd, Abguss in magentafarbigem Polyurethan – alle mit halb geöffneten hellblauen Augen (= Glasaugen als Menschenaugenprothesen). Das ist die eine Seite des Künstlers Carsten Höller, gewissermaßen die naturell geprägte. Die andere: hochkomplexe technische Anlagen wie das „Drehende Hotelzimmer“ , „Neon Elevator“ oder „Test Site“: fünf Rutschbahnen in der Turbinenhalle der Tate Modern in London (benutzbar). In den Räumen des Carsten Höller dreht sich der Mensch mit sich selbst um sich selbst, ist Teil komplizierter Installationen, ist Innenweltbeobachter aus der Außenwelt, ist die Labormaus für diverse Versuchsanordnungen.
Carsten Höller, 1961 in Brüssel geborener deutscher Künstler und Biologe, portioniert an der Schnittstelle zwischen Kunst und Wissenschaft, zwischen Laboratmosphäre und visionärer Spielerei, die Großinstallation „Soma“ mit lebenden Tieren im Doppelblindversuch und gibt den Besuchern die Möglichkeit, die Versuchsanordnung von oben, vom einem sich drehenden Hotelbett aus, zu verfolgen. Dazu wurde die zentrale Halle des Hamburger Bahnhofs entlang des Dachfirstes in zwei gleich große, eingezäunte Areale geteilt. In dieser pseudowissenschaftlichen Anordnung tummeln sich in jeder Hälfte sechs männliche, kastrierte, frei laufende Rentiere, zwei nicht geschlechtsbestimmte Stubenfliegen, frische, tiefgefrorene und getrocknete, in Deutschland und Schweden gesammelte Fliegenpilze. Von einer Tribüne im Eingangsbereich und von den Seitenschiffen aus kann die Szenerie eingesehen werden.„Soma ist ein Begriff, der in den vedischen Schriften, also in den Gründungsschriften der hinduistischen Religionen, einen Trank beschreibt, einen Trank, der Erkenntnis bringt, sogar zur göttlichen Sphäre, Reichtum, Siegeskraft. Und es ist interessanterweise auch ein Trank, den nicht nur Menschen zu sich nehmen sondern auch Götter.“ (Kuratorin Dorothée Brill) In einer pseudowissenschaftlichen Versuchsanordnung soll geprüft werden, ob für die Produktion des Rauschtranks Soma, wie 1968 von R. Gordon Wasson in „Soma – Divine Mushroom Of Immortality“ vorgeschlagen, der Fliegenpilz verwendet wurde und eventuell Rentiere eine Filterfunktion zur Reinigung der psychoaktiven Substanzen ausübten. „Die Passage des Pilzes durch das Rentier scheint einen ähnlich potenten Urin zu produzieren, wobei den Tieren, zumindest bei geringer Dosierung, keine Wirkung anzumerken ist,“ heißt es in der Werkbeschreibung. Die Produktion „ähnlich potenten Urin(s)“ bezieht sich auf die Erkenntnis, daß oral verabreichter menschlicher Urin nach dem Genuss von Fliegenpilzen dieselben Rauschzustände hervorrufen kann.
Der Urin der Rentiere wird gesammelt, um ihn an ebenfalls ausgestellten Kanarienvögel, Fliegen und Mäusen zu testen. Der Doppelblindversuch ermöglicht es, Rentierurin mit Fliegenpilzkomponenten und ohne diese zu kontrollieren. Dieser Placebo- und tatsächliche Rauscheffekt wird nicht dokumentiert oder analysiert, so dass eine mögliche Folge nur am Verhalten der Tiere selbst abzulesen ist. Zur Uringewinnung und Aufbewahrung diente verschiedene Labor- und andere Utensilien. Wer im Aufzugbett übernachtet, kann sogar Rentierurin in reiner oder verdünnter Essenz trinken.
Carsten Höller “Soma” (-06.02.2011) Hamburger Bahnhof.Museum für Gegenwart Invalidenstraße 50, 10557 Berlin Tel. 030-3978 3411, Fax 030-3978 3413 hbf@smb.spk-berlin.de Geöffnet: di – fr 10-18 Uhr, sa 11-20 Uhr, so 11-18 Uhr Eintritt: Hauskarte mit Sonderausstellungen: 12/6 Euro Sonderausstellung "Carsten Höller. Soma" 8/4 Euro Katalogbuch „Soma“ (Hatje Cantz) 15 Euro Werkbuch „Carsten Höller: 2001-2010 – 184 Objekte, Versuche, Veranstaltungen“ (Hatje Cantz) 49,80 Euro www.hamburgerbahnhof.de