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KEIMZEIT AKUSTIK QUINTETT

Wir Menschen sind gleichzeitig gut und grausam!

KEIMZEIT AKUSTIK QUINTETT

Wenn alles Überflüssige verdampft ist, wenn die Sonne gerade noch so über den Horizont lugt, bis zu dem weite, sich wiegende, sattgelbe Felder reichen, wenn der Rotwein im Glas die richtige Temperatur hat und am Himmel keine Bomber fliegen – dann ist Heimat. Und Musik. Und ein bisschen Zeit nach all der verlorenen …

Norbert Leisegang und sein Keimzeit Akustik Quintett sind nun all dies, was Konsequenz und Konzentration aus fast 40 Jahren Musikschaffen wachsen ließen. Der Keim ist längst zu einem Garten geworden, Melodien, die sich ins gemeinschaftliche Unterbewusste gegraben haben – und immer weiter gedeiht die Vielfalt. Wobei Leisegang seinem Publikum auch gern Mitdenken abnötigt, was die Zuhörerschar vielleicht etwas eingrenzt.

Das Album ´Albertine´ hat es in sich. Gleich der Titelsong nimmt Bezug auf einen Wälzer, keinen Walzer, der das Seelenleben Europas tief beeinflusst hat:

„Jeder liest das, was er für wichtig oder interessant hält. Ein Bildungsauftrag liegt mir fern. Vor drei Jahren bin ich mehr zufällig auf Prousts ´Auf der Suche nach der verlorenen Zeit´ gestoßen. Verblüffend für mich wieviele Parallelen es in Familienangelegenheiten, in der Liebe und in gesellschaftlichen Umbrüchen zu der Jetztzeit gibt. Die Liaison des Hauptprotagonisten Marcel zu Albertine ist nur eine Episode. Obgleich eine sehr delikate. Beide hätten heiraten und glücklich sein können. Der gemeinsame Weg zum Glück war allerdings damals um die Jahrhundertwende genauso verflixt wie heute.“

Denn darum geht es immer – um die Suche nach dem Glück und die Frage, was das eigentlich wirklich ist. Ganz bestimmt ist Glück, solch ein Album in den Temple Studios auf Malta aufnehmen zu können – oder den Musikperlenordner Jürgen Block als Produzenten dabei zu haben. Und ganz bestimmt ist es Glück über so viele Jahre mit dem Bruder Hartmut Leisegang (bs), mit Martin Weigel (git, Banjo, p, voc), Christian Schwechtheimer (dr, perc, voc) und der sonnigen Gabriele Kienast (geige, voc) zu musizieren. Wobei das Miteinander von Geige und Norberts Stimme so in sich wurzelt, so ineinander webt, dass die Verbindung, einer Liebesgeschichte gleich, harmonisch Glück erzeugt. Die Streicherin streicht und unterstreicht, schmeichelt und schiebt den immer etwas nöligen Gesang, geht in den Tönen mit und lässt Raum für Poesie und Weite. Ja, für Weite, einem so gern negierten Traum im Rummelplatzdurcheinander Musikgeschäft.

13 Lieder ohne musikalische Begrenzungen, mit Reggae, Blues, Soul, ein Tröpfchen Dada und immens viel Humanismus. Bis hin zur Sicht auf die ´Helden´, die Denkmäler bekommen an den Kreuzungen, weil sie mausetot sind und sich haben für irgendeine Parole abschlachten lassen:

„Wir Menschen sind gleichzeitig gut und grausam. Vielleicht gibt es ein paar Ausnahmen. Denen will ich hier nicht zu nahe treten. Die Nummer: Wir ziehen in den Krieg und sterben als Helden, wird zu jeder Zeit neu doubliziert. Da helfen auch keine schlauen Lieder. Der Song ´Helden´ ist nur meine persönliche Wahrnehmung der doch eher bedenklichen Ehrung von Gefallenen als Helden. Zumal auf all den Kriegsdenkmälern, die ich sah, nicht eine einzige Mutter oder Ehefrau vermerkt ist. Da fange ich an, mir Gedanken zu machen.“

Und er singt vom Älterwerden und der Liebe; und er singt und er singt. Und er singt vom Sich-aus der-Verantwortung-stehlen; und er singt und er singt; Philosophie.

Und er erzählt vom kleinen Glück in dieser Welt, welches immer ganz nah an einem selber ist, weil es Zeit braucht zu keimen. Und zu wachsen. Und zu singen. Und Poesie zu werden:

„Ich freue mich, wenn mir ein Text, ein guter Song gelingt. Da gibt es kein Rezept. Wie jeder andere Autor werde ich hin und wieder beschenkt.“

Wobei Leisegang so gelassen klingt, so staubig ruhig, so verlässlich mit seinen Freunden.

Kein Krawall, kein Geschrei – und weise Gedanken für die, die noch zuhören wollen: „Die Musik macht mich geschmeidig.“

Aktuelles Album: Albertine (Comic Helden / Edel)



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