All jenen, denen bei französischer Musik nicht viel mehr einfällt, als der Spatz von Avignon, werde ihre Unwissenheit genommen. Zugegeben, Barbara Carlotti ist nun nicht gerade ein Name, bei dem Frankophilen vor Begeisterung das Wasser in die Augen schießt, mutet er zuerst doch so gar nicht französisch an. Wer jedoch die ersten Worte mit der Dame gewechselt hat und sie einmal hat singen hören, der wird im Brustton der Überzeugung behaupten: Madame Carlotti ist französischer als der Eiffelturm.
L‘Ideal‘ heißt ihr neues Album. Also die Standardfrage zuerst: Warum ‚L‘Ideal‘?„Ich wollte meinem neuen Album eine sehr positive Note geben, es sollte lustig werden. Für mich heißt ‚L‘ideal‘: der perfekte Ort, um sich wohlzufühlen, Gelassenheit - ein Gefühl, das ich mit meiner Musik transportieren möchte.“
Die Geschichte von Barbara Carlotti ist die Geschichte einer jungen Frau, die auszog, um Musikerin zu werden, und sich dabei nicht allein auf holdes Glück und ein ihr geneigtes Schicksal verlassen wollte. Vor den Erfolg haben die Götter den Schweiß gesetzt und so zog es sie aufs Konservatorium, wo sie mit verschiedenen Musikrichtungen experimentierte und anschließend anfing, durch die Bars von Paris zu tingeln.
Mittlerweile gilt sie als die angesagteste Chansoniere des Landes und Repräsentantin eines Stils, der in den Sechzigern mit Gainsbourg und Dutronc begann. Eine Auszeichnung, denn wenn es um Chansons geht, gilt die Grande Nation als äußerst wählerisch.
Trotz der Vergleiche mit eben genannten Künstlern und eindeutigen 60s-Anleihen auf ihrem Vorgängeralbum ‚Les Lys Brises‘ beabsichtigt Madame Carlotti nicht, dies zu einem stetigen Element ihrer Musik zu machen und entgegenet so auch der imme wieder auftretenden Frage, warum auf ‚L‘Ideal‘ so gut wie nichts mehr von diesem Stil zu erkennen ist.
„Mein letztes Album ‚Les Lys Brises‘ habe ich mit einem Musiker aufgenommen, der ein großer Fan der 60s ist, wir hatten keinen Produzenten, der für die Arrangements zuständig war.
Bei meinem aktuellen Album war das anders: Mein Produzent und ich waren uns von Anfang an einig, dass wir eine sehr aktuelle und moderne Platte machen wollten. Wir wollten eine größere Vielfalt erreichen. Für ‚Ici‘, einem Song, der von Korsika handelt, wünschte ich mir, dass er sich anhören würde wie ein Stück von Simon & Garfunkel. Wir arrangierten das Ganze, fügten E-Gitarren hinzu und - nun ja - heraus kam etwas, das sich eher anhört wie 80s Folk aus New York.“
Wie es sich für Chansons gehört, sind die Texte ein ebenso wichtiger Bestandteil wie die Melodien. Oscar Wilde, Charles Baudelaire, Lord Byron und das Leben bieten Nahrung für intensive und abwechslungsreiche Lyrics. Aber was kommt zuerst?
„Bei mir kommt beides gleichzeitig. Ich schreibe den Anfang eines Textes und komponiere nebenher einen Teil der Melodie. Wenn es ums Schreiben geht, bin ich zwanghaft: ich schreibe Unmengen und ununterbrochen. Bei meinen literarischen Einflüssen ist mir auch wichtig, wer schreibt. Bei den oben genannten hat mich auch ihre Art zu leben inspiriert. Die Totatität mit der sie ihr Leben geführt haben - alle drei haben sich durch Schreiben ihre eigene Welt erschaffen und ihre Literatur bestimmte vollkommen ihr Sein. Manchmal inspiriert mich ein Roman stilistisch, also adaptiere ich eine Passage und verquicke sie mit autobiographischen Elementen und erhalte einen völlig neuen Einblick.“
Carlottis Sound mutet stellenweise sehr sphärisch, geradezu nostalgisch an, wie aus einer vergangenen Ära stammend. Irgendwelche Favourites diesbezüglich?
„Grundsätzlich gefällt mir die Zeit, in der wir jetzt leben, sehr gut. Die 60er waren bestimmt toll, weil soviel Neues aufkam und dies wohl eine der experiementellsten Phasen in der Musikgeschichte überhaupt war. Naja, und warum man die 50s einfach lieben muss, ist doch wohl klar: Rock‘n‘Roll!“
Aktuelles Album: L´Idéal (4AD / Beggars Group / Indigo)