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FENNE LILY

Durchbruch zu sich selbst

FENNE LILY

Als die Songwriterin Fenne Lily aus Bristol ihre Laufbahn als hoffnungsvolle Nachwuchs-Künstlerin begann, schien die Sache noch klar: Dank Songs wie „Top To Toe“ hatte sie schnell das Label der Folk-Sängerin weg. Doch bereits auf ihrer Debüt-CD „On Hold“ - und mehr noch bei den daran anschließenden Konzerten – machte Lily deutlich, dass sie mehr zu bieten hat, als verträumte Folk-Songs. Das setzt sich auf ihrer nun vorliegenden, zweiten LP „Breach“ musikalisch nahtlos fort.

Das mag auch daran liegen, dass „On Hold“ noch von Zweifeln und Unsicherheiten geprägt wurde, während Lily sich auf „Breach“ mit den Umständen arrangiert zu haben scheint und mit neu gewonnenem Selbstbewusstsein nach vorne blickt – auch wenn „Breach“ natürlich nach wie vor kein vertonter, musikalischer Ponyhof ist. Wen oder was aber durchbricht Lily auf dem neuen Album?
„Nun ich nannte das Album aus zwei Gründen 'Breach'“, erläutert sie, „zunächst ein mal deswegen, weil ich in einer Steißlage geboren wurde – und der medizinische Begriff dafür ist 'Breech'. Tatsächlich wurde ich durch einen Kaiserschnitt auf die Welt gebracht. Und ein großer Teil des Albums beschäftigt sich mit meiner Kindheit. Es gibt sogar eine Aufnahme von mir als Baby, die ich einspielte. Und der andere Grund war der, dass ich deutlich machen wollte, dass ich mich und meine Musik nicht mehr über meine Beziehungen definieren wollte. Ich bin nach Berlin gezogen und habe gelernt, auf eigenen Füßen zu stehen. Es ist heute für mich OK, alleine zu sein.“
Hat sich das auch auf die Songs ausgewirkt?

„Ich denke schon“, überlegt Lily, „je mehr ich für mich alleine bin, desto interessanter finde ich es, fremde Geschichten in meine Songs einfließen zu lassen. Es geht dabei nicht um das Lügen, sondern darum, Teile aus anderen Geschichten mit meinen eigenen zu verweben. Ich könnte hingegen keine Befriedigung darin finden, über Sachen zu schreiben, die ich nur erfunden hätte.“

Denkt Fenne Lily über solche Sachen beim Schreiben ihrer Songs eigentlich nach?

„Das ist schwer zu sagen“, überlegt sie, „ich setze mich jedenfalls nicht hin, um eine bestimmte Art von Album zu schreiben. Ich vermute zwar, dass mein nächstes Album in dem Sinne ähnlich werden wird, wie dieses, als dass es um eine miteinander verwobene Sammlung von Sachen gehen wird, aber ich weiß es nicht.“
Ein Thema des Albums scheint auch die Philosophie zu sein, Songtitel wie „I Nietzsche“, „Alapathy“ oder „Solipsism“ lassen dieses zumindest vermuten.

„Ich habe keine Philosophie studiert“, räumt Lily ein, „aber jemand hat mir den Philosophen Alan Watts empfohlen, der sich damit auseinandersetzt, fernöstliche Philosophie aus einer westlichen Sichtweise zu betrachten. Vieles davon fand ich ungesund, aber einiges hat mir geholfen, zu erklären warum ich mich fühle, wie ich mich fühle. Den Begriff 'Solipsism' mochte ich zunächst nur des Klangs wegen, habe ihn dann aber nachgeschlagen. Es bedeutet, dass es nur eine Realität geben kann – und zwar die eigene. Ich bin dann zu dem Schluss gekommen, dass es gar nicht darauf ankommt, dass das, was um Dich herum ist, tatsächlich existiert, so lange Du nur weißt, was Dir selbst wichtig ist. Wenn Du also eine Straße runtergehst, sollte die Frage, ob die Leute um Dich herum real sind, nicht Dein Verhalten bestimmen.“
Ist das Schreiben von Songs eine Art Therapie für Fenne Lily?

„Das ist schwer zu sagen, weil ich es immer schon gemacht habe“, überlegt sie, „wenn ich mal nicht schreibe, fühle ich mich verletzlich und wenn ich darüber nachdenke, wieder zu schreiben, fühlt es sich gut an. In diesem Sinne würde ich also sagen, dass mir das Schreiben schon hilft. Es hilft mir auch, mich wertig zu fühlen – weil ich nämlich manchmal denke, dass mein Job ein wenig nutzlos ist. Wenn mir dann aber jemand sagt, dass meine Musik ihm geholfen hat, dann fühle ich mich bedeutend.“

Dann zögert Lily einen Moment um dann hinzuzufügen:

„Das klingt jetzt, als sei ich eine Erlöserin – das sage ich aber nicht. Es ist nur so, dass ich mich selbst ja auch der Musik zuwende, wenn es mir schlecht geht - damit ich mich nicht so alleine fühle. Und wenn das jemand fühlt, der sich meine Musik anhört, dann ist das eine coole Sache, die ich dann beitragen kann.“

Aktuelles Album: Solipsism (Dead Oceans / Cargo) VÖ: 18.09.

Foto: Nicole Loucaides

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