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Jürgen Klauke - Selbstgespräche. Zeichnungen 1970-2016

Max Ernst Museum Brühl des LVR



Mit rund 400 Exponaten breitet das Max Ernst Museum einen weniger bekannten Werkkomplex von einem der wichtigsten Akteure der inszenierten Fotografie, Body-Art und Performance aus. In der retrospektiv angelegten Ausstellung „Selbstgespräche. Zeichnungen 1970–2016“ wird das zeichnerische Werk von Jürgen Klauke als Ausgangspunkt und Grundlage seiner Bildwelten thematisiert. In diesen geht es bis heute vor allem um die Auseinandersetzung mit gesellschaftlich normierten Geschlechtsidentitäten und sozialen Verhaltensmustern.

Links: Phantomempfindung, 2003, Mischtechnik/Eiweißlasur auf Bu.tten, 126 x 157 cm, Galerie Guido W. Baudach, Berlin
Rechts: Aus: Ju?rgen Klauke, Ein Moment wie ein Zungenschlag, 1977, Tusche und Mischtechnik auf Papier, 155 x 90 cm, Galerie Guido W. Baudach, Berlin, alle Bilder: © VG Bild-Kunst, Bonn 2017
Der „intermediäre Aktionist“, wie sich Jürgen Klauke selbst nennt, ist als Foto-Inszenierer seiner selbst bekannt. Im Zentrum seiner Fotoserien und Performances steht der menschliche Körper im Spannungsfeld zwischen gesellschaftlichen Konventionen und rebellischer Transformation. Erotisches und Homoerotisches wird in seinen Werken offen oder verschlüsselt zur Schau gestellt, es wird mit multiplen Identitäten und Geschlechtern gespielt. Klaukes angestrebte „Ästhetisierung des Existenziellen“ sucht die Trennung von Kunst und Leben aufzuheben. Leben und Kunst bilden für ihn eine fröhliche Allianz auf hoher Lust-Stufe.
In den 70er Jahren, also in einer Zeit, in der die Kunst- und Theoriediskurse noch nicht von Körper-Kunst und Gender-Studies bestimmt waren, hat Jürgen Klauke damit begonnen, die vorgeprägten und tabuisierten sexuellen Grund- und Verhaltensmuster in den Fokus zu nehmen und provokant zu hinterfragen. Als virtuoser Selbstdarsteller fand er in der Kölner Kunstszene eine dankbare Bühne für seine exzessiven, gelegentlich auch blasphemischen Rollenspiele und androgynen Inszenierungen. Niemals aber hat er Provokation um der Provokation willen betrieben, vielmehr hat er stets sein Vorgehen als spielerisches Mittel zum Zweck betrachtet: „Wenn Sie gegen das verordnete Leben angehen, müssen Sie eben mit Provokationen arbeiten.“
Anfänglich dokumentierte er seine Aktionen noch mit der Polaroid-Kamera, einem sehr subjektiven Verfahren, wie er schließlich befand, und von dem er darum 1973 Abschied nahm. Auf der Suche nach Objektivierungsmöglichkeiten orientierte er sich stattdessen an den Verfahren der Filmproduktion, indem er seine Fotos durch Zeichnungen und Gouachen vorbereitete. Ähnlich den Storyboards beim Film nutzte er nun Skizzen, um die die ästhetische Objektivierung von Körperlichkeit zu präzisieren. Umgekehrt wirkten seine inszenierten Fotografien zurück auf die zeichnerischen Ideen und Werke, die allerdings bisher in seinen zahlreichen Einzel- und Gruppen-Ausstellungen weniger präsent waren.
Die aktuelle Brühler Ausstellung zeigt die Entwicklung von den frühen, erotographischen Zeichnungen mit Tagebucheintragungen aus den 70er Jahren bis hin zu den großen, farbigen Gouachen, großformatigen Tuschezeichnungen und umfangreichen, in schwarz-weiß gehaltenen Zeichnungssuiten. Mit den Zeichnungsserien Entlang der Cioran Linien und Körperzeichen/Zeichenkörper, die 2012 und 2013 als großformatige Künstlerbücher erschienen sind, werden Motive aus den fotografischen Inszenierungen sowie aus den frühen Tageszeichnungen destilliert, erweitert und neu formuliert.
Die Bedeutung der Zeichnung in Klaukes Werk kann gar nicht überschätzt werden: "Zeichnen scheint mir die autonomste, freieste und unmittelbarste künstlerische Handlungsform neben dem experimentellen Denken", sagt Jürgen Klauke. In der Zeichnung wird von ihm ganz direkt das abgeschöpft, was durch Vorstellungskraft und aus dem Unterbewusstsein an die Oberfläche gelangt.
Männliche und weibliche Körperteile, einzelne als Requisiten des Seins und der Welt fungierende Gegenstände, sind der permanenten Verwandlung und Verschmelzung unterworfen. Jürgen Klauke zeigt Freizügigkeit, Sexualität und Groteskes. Aber auch die Rückkopplung der fotografischen Inszenierungen zurück auf die Zeichnung sowie die autobiographische Reflektion im Sinne eines Selbstgesprächs gehören als Möglichkeit des existentiellen Infragestellens zu seinem Werk dazu.
"Ein Buch muss Wunden aufwühlen, sogar welche verursachen", zitiert Klauke den rumänischen Pessimisten E. M. Cioran. Das gleiche Selbstverständnis steht hinter Klaukes Motivation, den Betrachter mit seiner Kunst zu Bewusstseinskrisen zur führen. Bewusstseinskrisen, die uns helfen, die Unzulänglichkeit des Daseins mit mehr Lust am Leben zu füllen.

Jürgen Klauke - Selbstgespräche. Zeichnungen 1970-2016 (-16.07.2017)
Max Ernst Museum Brühl des LVR
Comesstraße 42 / Max-Ernst-Allee 1
50321 Brühl (Rheinland)
Tel.: +49 (0) 22 32 57 93 0
Di- So 11-18 Uhr sowie 1. Mai (Tag der Arbeit), Pfingstmontag
› www.maxernstmuseum.lvr.de




Mai 2017
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