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Unter der Erde. Von Kafka bis Kippenberger

Kunstsammlung NRW, K21 Ständehaus



Wie gefährlich das Leben unter der Erde, selbst wenn es nur während einer Schicht unter Tage stattfindet, immer und überall ist, zeigt sich aktuell an dem verheerenden Unglück in einem Bergwerk der türkischen Stadt Soma. Diesem realen Ereignis stehen zufällig in der Kunstsammlung NW K21 künstlerische Positionen gegenüber, die in ihrer radikalen Weitsicht und der Veranschaulichung des Unmöglichen während der Quadriennale Düsseldorf 2014 für Aufsehen sorgen. Unter der Erde, das ist nicht nur etwas für Maulwürfe, Wühlmäuse und Kaninchen, Künstler und Schriftsteller haben sich gestern und heute immer wieder mit dem Leben unter der Erde beschäftigt. Im K21 werden Werke von zwei modernen und zwölf zeitgenössischen Künstlern zum Thema gezeigt. Natürlich im Untergeschoß des Museums.

Oben: Installationsansicht: Martin Kippenberger, Installation Tiefes Kehlchen, 1991
Unten rechts: Thomas Schütte, Bunker, Modell V, 1981
Unten links: Installationsansicht: Mike Kelley, Sublevel, 1998
Alle Fotos: © Achim Kukulies, Düsseldorf, © VG-Bild Kunst, Bonn
Ideengeber und Anreger war die unvollendet gebliebene Erzählung „Der Bau“ von Franz Kafka. Der Autor erzählt darin den vergeblichen Kampf eines nicht näher genannten Tieres, das seinen riesigen Erdbau zum Schutz gegen Feinde zu vervollkommnen versucht. Das ist der paranoide Versuch, die eigene Verstrickung in eine zwanghafte Beobachtung dieses labyrinthartigen Bauwerks zu bewältigen und zu erklären. Die anfängliche Zufriedenheit des Tieres mit dem Ergebnis seiner Bauarbeiten, dann stellen sich Bedenken ein, ob die Nahrungsmittel ausreichend geschützt sind und der Eingangsbereich gegen unbemerktes Kommen und Gehen zulässt. Kafkas Phantasiegebilde hat in der Realität durchaus seine Parallelen, bedenkt man die Sicherheitsvorkehrungen beim Bau von Bunkern oder Kellerräumen oder Tunneln.
Ein Abstieg in den Untergrund ist immer mit hohen Risiken behaftet. Die Steigerungsfähigkeit von unterirdisch bis unbewußt und unheimlich deutet auf ein gefährliches, manchmal nicht mehr steuerbares Verhalten hin, in dem sowohl klaustrophobische Höllenvisionen als auch die Schutzfunktionen von Höhlen präsent sind. Traumatisierende Erlebnisse und Erfahrungen in den beiden große Weltkriegen belegen Vor- und Nachteile unterirdischer Räume, die als Bunker genutzt wurden. Der britische Bildhauer Henry Moore beispielsweise zeichnete in seinem Skizzenbuch die vor den deutschen Luftangriffen Schutz suchenden Einwohner Londons. Thomas Schütte schuf Bunker als imaginäre Rückzugsmöglichkeiten des menschlichen Ichs, Formen, die an Körperteile und -öffnungen erinnern als Symbol des Selbstschutzes während der Zeit des Kalten Krieges.
Siegmund Freuds Erkenntnisse über die menschliche Psychologie und C.G. Jungs Traumdeutung, in der das Unbewusste in den Keller verortet, beeinflussten die Auslegung, was das Unterirdische eigentlich ausmacht, in der populären und künstlerischen Ansicht. Martin Kippenberger platzierte seine Installation „Tiefes Kehlchen“ ursprünglich in einen Seitentrakt der neugebauten U-Bahn-Linie 3 in Wien: ein mehrteiliger Komplex, den der Künstler 1991 für die Wiener Festwochen entwickelte. Von Bruce Nauman ist „Audio-Video Underground Chamber“ ausgestellt, eine Betonkammer, die der Künstler unter das Museum Moderne Kunst Stiftung Ludwig Wien baute. Kamera und Mikrofon fangen spärliche Signale ein und übermitteln sie sowohl in das Wiener Museum als auch ins K21. Auch das Künstlerduo Peter Fischli und David Weiss beschäftigen sich für das vorgegebene Thema mit Video und zeigen dokumentiertes Bildmaterial aus der Kanalisation in Zürich. Das Versteck von Saddam Hussein, in dem der Despot 2003 gefasst wurde, steht als Relikt eines Erdlochs beispielhaft für Rückzugs- oder Fluchtstätten unter der Erde und wurde von Christoph Büchel unter dem Titel „Spider Hole“ in der Ausstellung. Das „Spider Hole“ ist der Name für ein Ein-Mann-Erdloch, ein Fuchsbau für Menschen, gewissermaßen, das zur Observierung dient. Es ist verwandt mit dem Schützenloch für Soldaten. Weitere beteiligte Künstler: Thomas Demand, Max Ernst, Roni Horn, Mike Kelley, Kris Martin, Matt Mullican, Gregor Schneider und Jeff Wall. Bis 10.08.2014 Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen K21 Ständehaus, Ständehausstraße 1, 40217 Düsseldorf Tel.: 0211 – 8381204 E-Mail: service@kunstsammlung.de Geöffnet: di – fr 10 – 18 Uhr, sa – so 11 – 18 Uhr, 1. mi im Monat 18 – 22 Uhr (Eintritt frei) Eintritt: 12/9,50 Euro
Weitere Infos: www.kunstsammlung.de


Juni 2014
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