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BOOSTER - Kunst Sound Maschine

Marta Herford



Booster = Beschallungsanlage, das englische Wort für Verstärker, steht im Zentrum einer Ausstellung im „Marta“ in Herford, die sich mit öffentlich präsentierten, künstlerisch gestalteten Soundsystemen beschäftigt und überraschende, skurrile und selten gesehene Exponate aus dem Komplex der Lärmmaschinen (in Kriegszeiten) und Musikanlagen zeigt. Betont wird dabei die Mobilität der Soundsysteme, die nicht erst seit der Einführung von Reggae und Dub in die populäre Musik eine Rolle spielen. Mobile Soundsysteme pflegen die Kunst, Klang aus der individuellen Umgebung des Einzelnen zu separieren und in die Öffentlichkeit zu transportieren.

Rechts: Janet Cardiff & George Bures Miller, Lullaby for a Traveling Man, 2004, Koffer, Lautsprecher, CD-Player, antikes Grammophon / suitcase, speaker, cd player, antique gramophone, 114,3 x 63,5 x 62,2 cm, Länge: ca. 2 Min. Loop
Links: Wolfgang Tillmans, wall of speakers,1992, C-print 40,6 x 30,5 cm
Unten: Tom Sachs, Negro Music, 2008, Mixed Media, 116,8 x 200,7 x 61 cm

„Wo immer wir auch sein mögen, meistens hören wir Geräusche. Beachten wir sie nicht, stören sie uns. Hören wir sie uns an, finden wir sie faszinierend.“ Dieses Statement von John Cage bezeichnet haarklein, wie es um die Geräuschempfindlichkeit bzw. -akzeptanz in der modernen Industriegesellschaft bestellt ist. Das Museum Marta in Herford erforscht in einer mit siebenundvierzig Künstlern besetzten Ausstellung die faszinierende Kraft mobiler Soundsysteme, die seit der Industrialisierung weltumspannend gesellschaftliche Veränderungen begleitet oder sogar initiiert haben. Als eines der frühesten, in der Öffentlichkeit präsentierten Systeme zeigte sich die Drehorgel, der Leierkasten, die am Beginn des achtzehnten Jahrhunderts zunächst als ungeschmückter Holzkasten, später als reich verziertes, mobiles, orchesterartiges Instrument auf Rädern durch die Städte gezogen und gespielt wurde. In der Blütezeit des Ghettoblasters, auch Boombox genannt, also in den 1970er und am Anfang der 1980er Jahre, erfreute sich diese Lärmmaschine insbesondere in HipHopkreisen wachsender Beliebtheit. Diese riesigen, tragbaren Radiorekorder mit integriertem Audiokassettengerät beschallten mühelos weite Flächen öffentlicher Plätze und trugen zur Verbreitung populärer Musik bei.

Eine dunklere Seite tut sich auf, schaut man sich die Geschichte strategischer Kriegsführung an, wo mobile Soundsysteme auf perfide Weise dazu dienten, den Feind mit ohrenbetäubendem Lärm aufzuschrecken und Angst und Vernichtungswillen zu verbreiten. Die den Gegner zermürbende Propaganda nutzte nicht nur die Sprache, das Bild und das gedruckte Wort, sie bediente sich auch monumentaler Lautsprecheranlagen, die das gesprochene Wort im Sinne einer psychologischen Kriegsführung nutzten. Die deutsche Wehrmacht unterhielt etwa 1942 sogenannte Propagandazüge, die unter anderem mit sechs Lastkraftwagen mit Lautsprecheranlagen ausgerüstet waren.

Ein kriegswaffenähnliches, auf Ketten mobil einsetzbares Soundsystem schuf der in Berlin lebende Nik Nowak: sein „Soundpanzer“ (2011) besteht aus einem fahrbaren Untersatz, den Antriebsmaschinen und einer Respekt gebietenden, aufrichtbaren Soundanlage, deren äußeres Erscheinungsbild allein schon die enorme Kraft spiegelt, die in den schwarzen Boxen schlummert. Fast verspielt, filigran und poetisch behauptet dagegen das Objekt „Lullaby for a Travelling Man“ von Janet Cardiff und Georges Bures Miller seinen Stellenwert im oft ausufernden Gigantismus endenden Wettstreit, wer den nun die wuchtigste, lauteste und aufdringlichste Soundmaschine gebaut hat: Aus einem altmodischen Lederkoffer ragt ein Grammophontrichter heraus, aus dem wiederum ein von der Künstlerin selbst gesungenes Schlaflied erklingt. In der Mixed Media-Arbeit „Negro Music“ von Tom Sachs befinden sich in einem roten Stahlkasten ein Radiorecorder, Audiokassetten sowie zwei Lautsprecherboxen, die rechts und links das angebracht dem Objekt die Form einer Stereoanlage geben. Es beteiligten sich außerdem Lothar Baumgarten, Wolfgang Tillmanns, Carlos Rolon, Kurt Schwitters, Marcel Duchamp und andere.

Historische Bezugspunkte zur Ausstellung in Herford finden sich in Ton-, Bild- und Schriftdokumenten wieder und geben der Schau eine zusätzliche Dimension mit auf den Weg. Und die Erkenntnis, dass die heutigen Soundsysteme nicht aus dem Nichts heraus entstanden sondern in der Akustikgeschichte ihrer Vorläufer haben.
Bis 01.06.2014 Marta Herford, Goebenstraße 2-10, 32052 Herford Tel.: 05221-99 44 30-0 E-Mail: info@marta-herford.de Geöffnet: di – so 11 – 18 Uhr 1. Mittwoch/Monat 11 – 21 Uhr Eintritt: 7/4,50 Euro Katalog: 24 Euro (Kerber Verlag)
Weitere Infos: www.marta-herford.de


April 2014
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