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DAMIEN JURADO

Ein kleines bisschen Utopie

DAMIEN JURADO

Große Fanmassen wolle er gar nicht erreichen, sondern lieber den vorhandenen, stets überschaubaren Kreis an Hörern pflegen. Bei Konzerten Hände schütteln und kurze Gespräche führen, meint Damien Jurado, sei mehr sein Ding und wird mit dem neuen Album ´Maraqopa´ dem eigenen Status des Underdogs gerecht. Warum es sich jedoch stets lohnt weiterzumachen, das sagen die Songs deutlich: Utopie lautet die Motivation hinter allem und so taucht der in Seattle ansässige Songwriter in fremde Welten hinab – um am Ende mit einer wegweisenden Erkenntnis aus dem Traum aufzuwachen.

Und schwaps ist der Tisch mit Cola überschüttet – „Sorry für die Sauerei“, entschuldigt sich Damien Jurado und hält mit der Hand den schwarzen Fluss klein wie möglich – während man selbst nach einem trockenen Tuch greift und dies nicht allein, um die Holzfläche vom klebrigen Softdrink zu retten, sondern das Diktiergerät davon abzuschotten.

Die vorangegangenen O-Töne müssen heil auf Band bleiben – denn was Jurado soeben von sich gab, überraschte einen derart, dass es dokumentiert gehört: Von Spiritualität war die Rede, Nirvana wurden als Zerstörer des Punks tituliert und ein utopischer Traum tauchte auf, der mit ´Maraqopa´ zur Realität wird.

Damien Jurados zehntem Album in den vergangenen 15 Jahren und immer noch schleicht sich der Mann nach seinen Konzerten unter die Menge, um unverhoffte Small Talks zu führen: „Mir gefällt es in die Augen derer zu schauen, die meine Musik hören – ein besseres Feedback kannst du nicht bekommen.“

Wie auch, denn natürlich haben wir es im Falle des wuchtig-wirkenden US-Amerikaners mit einer ehrlichen Haut zu tun – da Jurado selten ein Blatt vor dem Mund nimmt und sowohl musikalisch als auch persönlich gegenübersitzend, Etikette und das Einmaleins der Promotion außer Acht lässt.

„Wenn du mich fragst, warum ich irgendwann mit dem Singer/Songwriter angefangen habe, dann weil mir spätestens mit Nirvanas ‚Nevermind‘ der Punk ausgetrieben wurde – bei den meisten war das andersrum, aber weswegen soll ich lügen?“

Genau, wenn die eigenen Platten schon so herzzerreißende Storybooks sind, gehören auch sonst die Fakten auf den Tisch gepackt – oder anders ausgedrückt, im Zuge seines neuen Studiowerks ´Maraqopa´ umgeht Jurado die Variante, das Geschehene einfach nur 1 zu 1 wiederzugeben und stellt den Songwriter in sich vor eine große Herausforderung:

„Ich würde mich als spirituellen Menschen bezeichnen. Nicht im kitschigen Sinne, sondern eher was Schicksal und die Bestimmtheit gewisser Personen füreinander angeht. Und manchmal träume ich wirres Zeug, das solchen Gedanken Ausdruck verleiht, aber selten Sinn ergibt – bis auf diese eine Nacht.“

Was war passiert?

„Ich wachte morgens auf und mir wurde klar, dass ich soeben eine ziemlich konkrete Vorstellung einer utopischen Gesellschaftsform hatte: Die Menschen wussten untereinander genau, was der jeweils andere fühlt – ohne zu ahnen, wer derjenige ist. Sie konnten sofort auf die Bedürfnisse des Einzelnen einlassen.“



Erklärt Damien Jurado während er einen Schluck aus der Flasche vor ihm nimmt und mit dem Kopf vielsagend nickt – zudem betont, man solle ihn nicht falsch verstehen, normalerweise sei es nicht seine Art solche Geschichte zu erzählen, aber ´Maraqopa´ wurde von eben diesen grundlegend beeinflusst.

„Es ist ein Konzeptalbum, ein Versuch über die Gesellschaft als sich selbst heilendes Konstrukt und der Protagonist erkennt dies irgendwann. Stemmt sich anfänglich dagegen, weil er Angst vor dem Verlust seiner Individualität hat – aber ganz am Ende, im letzten Song ‚Mountains Still Asleep‘, sieht er den Gewinn für sich ein.“

Obschon es dann zu spät ist, denn er stirbt einen einsamen Tod – Damien Jurado wirkt trotz der Abwesenheit jeglichem Happy Ends zufrieden mit sich und seinem neuen Album; berechtigter Weise und wer weiß, welche Erkenntnisse wir noch erfahren hätten, wäre die Cola nicht umgekippt.

Dem Folk ein Schnippchen schlagen, ´Maraqopa´ hat es zweifelsohne geschafft und gibt dank wundervoller Arrangements auch musikalisch ein tolles Statement ab: Man könnte Jurado stundenlang zuhören und dann einfach mal die Hand schütteln.

Aktuelles Album: Maraqopa (Secretly Canadian / Cargo)




Foto: Sarah Jurado

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