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dEUS

oder das Glück, aus Belgien zu sein.

dEUS

Tom Barman wirkt aufgedreht. Zum einen beschäftigt ihn der Tod des belgischen Autors Hugo Claus am Tag des Interviews, zum anderen will er erzählen. dEUS haben nämlich ein neues Album gemacht. „Vantage Point“ heißt es. Tom ist begeistert davon und will darüber berichten, was sich bei ihm und der Band im Vergleich zu früher und dem letzten Album „Pocket Revolution“ verändert hat.

Du hattest Dir mal als Ziel gesetzt, bei jedem Album Dein Songwriting zu verbessern.

„Es liegt aber eigentlich nicht an mir, dass zu beurteilen, aber ‘Smokers Reflect’ hätte ich vor einigen Jahren nicht schreiben können. Natürlich verliert man eine gewisse Naivität und Frische mit den Jahren. Das geht den schlechtesten und besten Musikern so. Man macht Dinge, die man zehn Jahre später nicht tun würde. Dafür kann man dann aber – und das ist meiner Ansicht nach kein schlechter Tausch - Dinge besser einschätzen und hat eine gewisse Brutalität gegenüber den eigenen Sachen: Gut, das ist ein schönes Intro, aber es ist zu lang – schneide da was raus. Deswegen arbeitet man schneller.“

Du hast mal gesagt, dass Harmonie für Dich beim Arbeiten wichtig ist.

„Ein Großteil der Energie geht sonst in die Kämpfe und nicht in die Songs. Aber auch das ist eine Frage des Alters. Natürlich gibt es immer Egos und verschiedene Meinungen, aber jetzt geht man anders damit um, als mit 21. Wenn ich mir anschaue, wie viel Energie ich bei ‘Pocket Revolution’ in die Fertigstellung des Albums und in den Zusammenhalt der Band gesteckt habe… Klar, jetzt gab es auch Probleme, aber eher gesundheitliche: Bei mir waren es beispielsweise die Ohren. Aber es gab keine Kämpfe der anderen Art mehr – Gott sei Dank.“

‘Pocket Revolution’ klang nach Veränderung, ‘Vantage Point’ eher nach einem Platz, an den man sich zurückziehen kann.

„Es klingt positiv, ist kompakt – wie das Album – und hat Sinn, weil das Studio, in dem die Platte aufgenommen wurde, so heißt. Es steht aber auch für unsere Herkunft. Es gab Zeiten, in denen ich dachte, dass es für eine Rockband nicht so toll ist, aus Belgien zu kommen. Ich hatte das Gefühl, man müsste sich doppelt so sehr beweisen, als wenn man aus England, Amerika, Frankreich oder auch Deutschland wäre. Damit habe ich mittlerweile kein Problem mehr – ich sehe es viel eher als Vorteil an. Wir sind Belgier und das ist der Grund, für ‘Suds & Soda’, ‘Turnpike’ oder ‘Smokers Reflect’ – drei völlig unterschiedliche Songs. Mit allem Respekt – bei einer englischen Band wäre das nicht der Fall. Wir sind zufriedener, was sich in der Musik, besonders aber in den Shows spiegelt.“

Hängt das auch damit zusammen, dass ‘The Architect’ als Single in Belgien, ‘Slow’ aber in Deutschland ausgekoppelt wurde, zumal beide recht unterschiedliche Stile repräsentieren?

„Das war allein die Entscheidung der Plattenfirma. Ich mag alle Songs des Albums. Es ist eben ein sehr eklektisches Album und ich glaube, dass dEUS-Fans auch unsere Vielseitigkeit lieben und entsprechend offen sind. Beide Songs repräsentieren uns. Wir waren auch schon immer so. Truffaut hat mal gesagt, dass man im ersten Film eines Regisseurs alle Richtungen ablesen kann, die er in seinen späteren Arbeiten noch einschlägt. Das gilt auch für Platten: In jedem Debütalbum kann man schon die weiteren Stile ablesen. Für kein erstes Album trifft das mehr zu, als für ‘Worst Case Scenario’: Es gab laute Songs, Pop und auf Loops basierende Stücke. Wir waren schon immer eklektisch und ‘Vantage Point’ steht für unser Belgier-Sein. Wir stehen nicht in einer großen Rocktradition und haben keine Fibel dazu auf dem Nachttisch liegen, wie viele englische Bands. Wenn man aus Belgien kommt, muss man einfach über die Grenzen schauen.

Du schreibst nicht mehr so direkt über Dich selber – ist das eine Befreiung?

„Meine erste Liebe war aber das Filmen und irgendwann konnte ich dann auch in dem Medium mein erstes Projekt verwirklichen (‘Any Way The Wind Blows’). Er ist kein Meisterwerk, aber recht gut. Ich habe dann festgestellt, dass ich meine Stimme in Filmdialogen viel eher wieder finde, als in der Musik. Dort bin ich noch auf der Suche. Das ist jetzt einfach ein neuer Versuch. Damon Albarn – und ich möchte mich nicht mit ihm vergleichen, er ist einfach unglaublich – ist auch noch auf der Suche. Das hört man. Er hat mit dem Kinks angefangen, dann Pavement entdeckt, Manu Chao und dann Danger Mouse getroffen. Wer diktiert, dass man sich mit 36 selbst kennen muss? Das wird einem höchstens von der Gesellschaft vorgeschrieben.“

Ist es diese Art von Diktatur, die Du bei ‘Popular Culture’ anprangerst?

„Genau, aber ich bin ebenso ein Teil davon und genieße es auch. Das ist so eine Hass-Liebesbeziehung und darum geht es eben in dem Song. Ebenso ist aber auch die Suche nach der belgischen Identität und Tradition Thema des Songs. Wohin gehören wir? Und das dann in einen Popsong zu kleiden, gesungen von 12-Jährigen, hatte dann einen gewissen ironische Touch. Die sind schließlich noch viel mehr eingebettet in Internet, Casting Shows und Pop Stars, als wir in den 80ern. Dabei wird denen das dann oft von Erwachsenen aufgedrückt. Die sagen denen, dass sie nach Ruhm streben sollen. Die Kinder fordern das nicht. Die Erwachsenen sind es, die das Fernsehprogramm festlegen und sagen, was die Teenager sehen wollen.“

Aktuelles Album: Vantage Point (V2 / Universal)



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