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SHARON VAN ETTEN

Lernprozesse

SHARON VAN ETTEN

Mit ihren ersten drei Alben bewältigte Indie-Folk-Darling Sharon Van Etten die eigene Vergangenheit. Mit ihrer hervorragenden vierten LP, "Are We There", kommt die so ungemein sympathische 33-jährige New Yorkerin nun in der Gegenwart an. Auch dieses Mal geht es wieder viel um Beziehungen und das Wachsen an Problemen, doch mindestens genauso interessant wie die textliche Seite ist auch die Musik, denn klanglich war die Amerikanerin nie breiter aufgestellt.

Anstatt sich wie beim unter der Regie von The-National-Tausendsassa Aaron Dessner mit großem Staraufgebot entstandenen Vorgängeralbum "Tramp" auf prominente Unterstützung zu verlassen und dabei Gefahr zu laufen, die eigenen Visionen aus den Augen zu verlieren, übernahm Sharon dieses Mal von der Produktion über die Auswahl der Musiker bis zur Zusammenstellung des Artworks alles selbst. Eine Entscheidung, die sie nicht bereut. "Ich habe zwischendurch nie gedacht: Was habe ich nur getan?", sagt sie lachend, als wir sie bei ihrem Pressestopp im Berliner Michelberger Hotel erwischen. "Letztlich war der ganze Prozess vergleichbar mit dem Erlernen einer Sprache. Irgendwann kommst du an den Punkt, wo du in die Tiefe gehen musst. Mir war klar, dass ich nicht wissen würde, wie man eine Platte selbst produziert, bis ich es ausprobiere." Allerdings war sie nicht völlig auf sich allein gestellt. Mit Grammy-Gewinner Stewart Lerman hatte sie einen erfahrenen Studioprofi an ihrer Seite, dazu kamen befreundete Musiker, die sie anspornten, darunter Peter Broderick (Efterklang), Jana Hunter (Lower Dens) Jonathan Meiburg (Shearwater), Mackenzie Scott (Torres), Dave Hartley und Adam Granduciel (The War On Drugs) und ihre phänomenale Touringband mit Doug Keith, Zeke Hutchins und Heather Woods Broderick.
Entstanden ist eine Platte, die mit einigen betont luftigen Arrangements überrascht, mit unerwartetem Instrumentarium begeistert und mit dem dezenten Einsatz von Oldschool-Elektronik neue Wege einschlägt. Dabei wagt sich Sharon noch nicht einmal so weit in elektronische Gefilde vor wie ursprünglich beabsichtigt. "Ich hatte das Gefühl, dass die Platte zu poppig und zu glatt geklungen hätte, wenn ich zu viel Elektronik verwendet hätte", erklärt sie. Stattdessen kam verstärkt ein Omnichord zum Einsatz, eine – verkürzt gesagt – elektronische Zither mit eingebauter rhythmischer Begleitung. "Ich mag den Beat des Omnichords, weil er so simpel, unaufdringlich und lo-fi ist. Er gibt selbst hübschen Songs etwas mehr Attitüde, mehr Charakter!"

Textlich bleibt sich Sharon dagegen treu und erzählt auch auf "Are We There" eindrucksvoll offen und praktisch vollkommen unzensiert aus ihrem (Liebes-)Leben und macht so den Hörer im Handumdrehen zum Co-Piloten ihrer Emotionen. Dabei baut sie einen interessanten Erzählbogen auf, der mit dem unerschrockenen Manifest "Afraid Of Nothing" und dem darauffolgenden Mottosong "Taking Chances" beginnt, bevor die Erzählerin bei "Your Love Is Killing Me" daran erinnert wird, dass echte Liebe über einen steinigen Weg führt. Im zweiten Teil des Albums überwiegt dann die Erkenntnis, dass all die Rückschläge zum Wachsen bzw. zum Erwachsenwerden einfach dazugehören. "Das ist ziemlich genau das, worum es auf der Platte geht", bestätigt Sharon. "Das übergeordnete Thema ist die Beziehung zu meinem Freund mit den Problemen, die auftreten, wenn man so selten zu Hause ist wie ich. Das ist in der Tat ein steiniger Weg mit Höhen und Tiefen."
Der bereits vor einiger Zeit geäußerte Wunsch, sich mehr aufs Geschichtenerzählen zu verlegen und nicht ausschließlich Songs über ihr Privatleben zu verfassen, scheint dabei etwas in Vergessenheit geraten zu sein. "Es hat sich einfach nicht natürlich angefühlt, als ich versucht habe, mich mehr in diese Richtung zu bewegen, es war zu gezwungen", verrät Sharon. "Ich habe in den letzten zwei Jahren eine Menge Songs zusammengetragen, und für die Platte habe ich einfach die aufgenommen, die sich gut anfühlten." Sie macht eine kleine Pause und fügt dann lachend hinzu: "Ich würde schon gerne irgendwann eine bessere Songwriterin sein, aber ich habe noch nicht herausbekommen, wie das geht!"
Weitere Infos: › www.sharonvanetten.com Foto: Dusdin Condren

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