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THE POSIES

Zurück in die Zukunft

THE POSIES

Mit ihrem dieser Tage erscheinenden siebten Album haben The Posies die wohl mutigste Platte ihrer 23-jährigen Bandhistorie aufgenommen. Mit "Blood/Candy" geht das US-Quartett um das auch solo aktive Vordenker-Duo Jon Auer und Ken Stringfellow konsequent neue Wege, ist dabei aber so nah am Puls der Zeit wie seit Langem nicht mehr.

"Für uns ist diese Platte so ambitioniert wie nur irgend möglich", stimmt Ken Stringfellow im Gespräch mit Westzeit zu. “Trotzdem mussten wir nicht 100 Songs schreiben, um zu den zwölf zu gelangen, die nun auf dem Album sind. Wir waren bei der Arbeit einfach viel fokussierter als zuvor. Bei den Aufnahmen zur vorherigen Platte war uns einfach nicht klar, wozu wir in der Lage sein würden, weil wir keinen Draht zu unserem Publikum und zueinander hatten, da wir mit anderen Dingen beschäftigt waren.”

Zwar zeigten sich die oft missverstandenen Heroen des 90er-Jahre-Power-Pop, die wohltuende Antithese zum damaligen Grunge-Sound ihrer Heimatstadt Seattle, auch schon auf besagtem 2005er-Album, "Every Kind Of Light", ungewohnt experimentierfreudig, doch so richtig funktionierte das Konzept nicht, die Platte innerhalb weniger Tage zu viert zu schreiben und aufzunehmen. Immerhin vermied es die Band so, lediglich ihren glorreichen Sound der 90er neu aufzukochen, als sie mit Songs wie "Dream All Day" oder "Solar Sister" begeistert und mit "Frosting On The Beater" und "Amazing Disgrace" ihre zwei kommerziell erfolgreichsten Alben veröffentlicht hatte.

“Ich mag 'Every Kind Of Light'”, sagt Jon Auer zwar, doch auch er sieht das letzte Album rückwirkend durchaus kritisch. “Ich wünschte, wir hätten die Zeit gehabt, uns den Details etwas länger zu widmen. Leider hatten wir damals nur die Wahl, eine Platte komplett in zwei Wochen aus dem Boden zu stampfen oder gar keine zu machen. Ich denke, wir haben die richtige Entscheidung getroffen, allerdings möchte ich auf diese Art nie wieder eine Platte machen.”

Für die neue Platte kehrten die Amerikaner zur ihrer alten Arbeitsweise zurück, bei der Auer und Stringfellow die Songs in Ruhe vor den Sessions schrieben, bevor die Band zu viert ein Studio in Südspanien enterte, um die Platte gemeinsam einzuspielen. Dies hat dem Album merklich gutgetan, denn "Blood/ Candy" wartet mit einem wahren, von manchen vermutlich kaum mehr erwarteten Hit-Feuerwerk auf. Dabei klingen nur wenige Songs wie die "alten" Posies der 90er, stattdessen wird der Keyboard-Anteil deutlich nach oben geschraubt, auch sonst viel (mit Erfolg) ausprobiert und des Öfteren ein 70s-Vintage-Soundteppich zur Spielwiese für dezent eingesetzte Indietronics. Trotzdem gab bei den Aufnahmen keinen Masterplan. Der gesamte Prozess sei sehr organisch verlaufen, sagt Auer: “Wir sind einfach unserem Instinkt gefolgt. Wir hatten uns in eine bestimmte musikalische Ecke manövriert, und nun war es Zeit, einen Ausweg zu suchen. Das hat Spaß gemacht, war aber auch eine Herausforderung und manchmal sogar Furcht einflößend – allerdings auf die gute Art.”

Gemäß der Philosophie "Weiterentwickeln oder untergehen" definieren sich The Posies, die Mitte Oktober auch live in Deutschland spielen, auf "Blood/Candy" grundlegend neu.

Wie viel Arbeit dies bedeuten würde, war den Amerikanern allerdings zunächst nicht ganz klar.

“Wir haben den Aufwand, der nötig sein würde, völlig unterschätzt”, gibt Stringfellow zu. “Wir dachten: Wenn wir 'Every Kind Of Light' innerhalb von zwei Wochen schreiben und aufnehmen können, wie schwer kann es sein, zuvor bereits komplett einstudierte Songs aufzunehmen? Wie sich zeigte, war es ziemlich schwierig! Die Aufnahmen begannen zwar auf sehr puristische Old-School-Weise, wurden dann aber radikal modifiziert.”

Wochenlang fügten Auer und Stringfellow den in Spanien entstandenen Live-im-Studio-Aufnahmen in kleinen Schritten immer weitere Feinheiten hinzu. Diese neuen Puzzleteile zu organisieren und zu editieren, entwickelte sich zu einem wahren Albtraum. So wurden die letzten Parts erst eingeflochten, als der eigentlich finale Mastering-Termin bereits längst verstrichen war. Doch letztlich war der Wille der Band stärker, mit dieser Platte das breite Spektrum der über die Jahre entwickelten Interessen aufzuzeigen und das mit The Posies sowie als Solisten und als Musiker für Big Star oder R.E.M. angesammelte musikalische Können und Wissen bestmöglich anzuwenden.

Die Belohnung ist die lebendigste und wohl auch detailverliebteste Platte der Amerikaner seit rund 15 Jahren, ein Album, das beweist: The Posies sind auf dem Weg zurück in die Zukunft.

Aktuelles Album: Blood/Candy (Rykodisc / Warner)


Weitere Infos: › www.theposies.net Foto: Christine Taylor

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